Der GroÃinquisitor by Dostojewski Fjodor
Autor:Dostojewski, Fjodor [Dostojewski, Fjodor]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Insel Verlag
veröffentlicht: 2015-05-26T00:00:00+00:00
Nachwort
DOSTOJEWSKIS »GROSSINQUISITOR«
ALS RELIGIÃSES UND POLITISCHES DOKUMENT
Die Erzählung vom GroÃinquisitor, der im 16. Jahrhundert in Spanien mit dem wiedergekehrten Christus zusammentrifft, oder die Erzählung von Christus, der in dieser Zeit der politischen Machtentfaltung des Papsttums die leidenden Menschen und einen ihrer Beherrscher aufsucht, ist als Bestandteil von Fjodor Dostojewskis letztem und geistig stärkstem Roman Die Brüder Karamasow einer seiner berühmtesten Texte. Das ist durch die Tiefe und Vielschichtigkeit der geistigen Aussage begründet.
Dostojewski hat mehrfach in seine Romane solche fast selbständigen Teile einbezogen, wie die Auseinandersetzung des achtzehnjährigen schwindsüchtigen Ippolit mit seinem unabwendbar bevorstehenden Tod im Roman Der Idiot und den Besuch des durch eine Vergewaltigung zum Mörder gewordenen Stawrogin im Roman Die Dämonen in dem gesonderten Kapitel »Bei Tichon«. Alle Werke Dostojewskis haben auch ein religiöses Anliegen, und diese drei Episoden sind dadurch verbunden, daà darin Menschen dargestellt werden, die sich gegen den Glauben auflehnen und zugleich darin nach Halt suchen. Die Erzählung vom GroÃinquisitor, die parallele Momente zum Kapitel »Bei Tichon« enthält, ist in den Roman als Werk Iwan Karamasows integriert. Sie ist ein Teil von Iwans Anklage gegen die von Gott geschaffene Welt mit den leidenden und gequälten Menschen. Die Definition solcher Menschen, die Dostojewski dem Erzpriester Tichon in den Mund legt, gilt im Grunde auch für Ippolit und für Iwan Karamasow: »Ein vollständiger Atheist steht auf der vorletzten Stufe der Leiter zum vollkommensten Glauben â ob er sie überschreitet oder nicht, ist eine andere Frage â, ein Gleichgültiger aber hat keinerlei Glauben, hat nur armselige Angst.« Der Novize im Kloster Aljoscha Karamasow liebt seinen ungläubigen Bruder nicht nur, weil es ihm seine christliche Haltung gebietet, sondern weil dieser Gott sucht.
Für sich genommen ist die Erzählung vom GroÃinquisitor eine literarische Darstellung Christi, und zwar die einzige, in der Dostojewski Christus persönlich auftreten läÃt. Sie ist auch eine der ersten und wichtigsten in der russischen schöngeistigen Literatur, eine der besten in der Weltliteratur. Ausgangspunkt ist Christi im Neuen Testament angekündigte Wiederkunft. Dostojewski wählt, da das Ereignis der Wiederkunft in unbestimmter Zukunft liegt, eine fiktive kurzfristige Zwischenwiederkunft zu Beginn der Neuzeit.
Das Besondere seiner Darstellung liegt darin, daà der wiedergekehrte Christus in der zentralen Begegnung mit dem GroÃinquisitor kein Wort spricht, sondern nur durch die an ihn gerichteten Worte seines ihn anklagenden GroÃinquisitors charakterisiert wird, der Christus unterstellt, was er antworten würde, und das dann verurteilt, sich somit über ihn erhebt. Dieses Schweigen, das übrigens nicht von vornherein geplant war, mag darauf zurückgehen, daà auch Jesus vor den Hohenpriestern, vor Herodes und vor Pilatus schwieg. Ein sowjetischer atheistischer Dostojewski-Forscher erklärte es damit, daà ihm die Argumentationen des GroÃinquisitors zu beweiskräftig waren, ein russischer Philosoph der Emigration mit dem richtigen Hinweis, daà die letzte, göttliche Wahrheit nicht in Worten zu fassen sei. Mir scheint etwas anderes wesentlich: Wir begegnen im Roman nicht Christus, sondern einer literarischen Christusgestalt, und diese darf, wenn sie glaubhaft bleiben will, dem, was in den Evangelien steht, kein Wort hinzufügen. Es wäre ja nicht Christus, welcher etwas hinzufügt, sondern der Schriftsteller. Selbst wenn die Worte mit dem Geist der
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