Der Gefangene von Urga. Roman by Krasznahorkai László

Der Gefangene von Urga. Roman by Krasznahorkai László

Autor:Krasznahorkai, László [Krasznahorkai, László]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104020877
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2015-01-26T16:00:00+00:00


Jetzt könnte ich sagen, schon das bloße Erscheinen des Erzählers habe mich tief und nachhaltig beeindruckt, denn meine bisherigen Erlebnisse mit der chinesischen Oper waren nebelhaft, oberflächlich und mittelbar, aber nicht darum handelte es sich, der fußlange, sandfarbene Kittel, der lange, falsche Bart vor dem bemalten Gesicht, der Kopfschmuck von undurchsichtiger Bedeutung, die gepresste Stimme, die unablässig zwischen den hohen und den tiefen Registern hin und her glitt, und bei alledem ein absolut unbewegliches Augenpaar, dessen Blick sich langsam über den nicht abgedunkelten Zuschauerraum bewegte, nun, dies alles beeindruckte mich nicht einfach, sondern gab mir auf der Stelle die Gewissheit, ich würde hier, heute Abend, Augenzeuge ungewöhnlicher Ereignisse, wie der Erzähler sie versprach, und wenn er in dieser erschreckenden Glissandosprache sagt, ich solle mit ihm das Reich Diao-chans und Lü-bus betreten, dann bleibt mir gar nichts anderes übrig, dachte ich, in die unbeweglichen Augen blickend, als auf ihn zu hören. Und ich lauschte, ich folgte seiner Einladung, nichts mehr beschäftigte mich, weder der Klang des Gedichtes noch, wo ich mich befand, mit einem Wort, meine Aufmerksamkeit fesselte von nun an allein das Versprechen des Erzählers, was jedoch nicht bedeutete, dass ich wirklich vorbereitet war auf das, was ich zu sehen bekommen sollte, als endlich auch der blaue Vorhang aufging und ich blinzelnd in die Farbenpracht spähte, die mich auf der Bühne empfing. Diese Pracht kam so unerwartet und war so sehr das Gegenstück zur nach wie vor beleuchteten Ärmlichkeit des Saales, dem Hüsteln, dem säuerlichen Geruch, den grauen Blusen und den kahlen oder weißen Köpfen, dass ich glaube, darauf hätte man sich gar nicht vorbereiten können. Einander gegenüber, aber dennoch ungefähr einen Halbkreis bildend, standen je vier mit funkelndem Geschmeide behangene, in Silber, Grün, Rot und Violett gekleidete, außergewöhnliche Gestalten, die nach flüchtiger Reglosigkeit auf ein erneutes grelles Signal der Becken und Gongs Platz machten für eine respekteinflößende, bedrohliche Figur mit weißbemaltem Gesicht und rotem Mantel, die nun an der Spitze eines schwarzbekittelten Trupps in die Mitte trat. Im Hintergrund verbarg ein goldbestickter roter Stoff einen Thron und etliche Stühle. Vor dem hellblauen Himmel, der die Bühne abschloss, senkten sich zwei große und zierratreiche Lampen herab. Das Orchester setzte ein, und der Inhaber des Throns – mir fiel der Name ein, Dong-zhuo – begann zu singen.

Nur sehr wenig hält mich von der Behauptung zurück, bei diesem ganzen Anblick hätte ich mich nicht als behextes Opfer eines gelungenen Zaubers gefühlt, sondern mir sei gleichsam das Blut in den Adern erstarrt, vor allen Dingen, weil ich da schon, sofort als Dong-zhuo sang, bemerkte, dass bei aller handlungsbedingten Unstetigkeit der Gesten und Positionen der Anblick immer der gleiche, ja derselbe blieb, nur dass in ihm eine Geschichte in Gang kam und ihren Lauf nahm, während die Vorstellung selbst darin bestand, dass die dort oben sich unserer Aufmerksamkeit aussetzten und wir hier unten sie hingebungsvoll bestaunten. Wie im zoologischen Garten, dachte ich, nur dass hier das Gitter fehlt.

Ich war verblüfft, ich war wie geblendet, und nachdem mir flüchtig der Sinn der Fahrt vom Zhaolong



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