Der Gang unter der Erde by Hans Hyan

Der Gang unter der Erde by Hans Hyan

Autor:Hans Hyan [Hyan, Hans]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: SAGA Egmont
veröffentlicht: 2015-07-17T00:00:00+00:00


XVI

Dem Doktor Splittericht war die Zeit ein bißchen lang geworden. Er hatte erst unten im Schalterraum auf einer Bank gesessen, heimlich beobachtet und angestaunt von den Angestellten. Dann war ihm das zu fad geworden. Er stieg die läuferbelegte Treppe hinauf in die Etage und ging in den kleinen Konferenzsaal rechts neben dem großen Büroraum des Generaldirektors. Die Tür aus dem Konferenzzimmer zum Büro war halb offen.

Das weiße Licht des Wintertages fiel durch die Stores hell herein. Splittericht schob die Gardine halb zurück und blickte aus dem breiten Doppelfenster hinab auf die Straße, die jetzt, wo es schon auf die Mittagsstunde zuging, Scharen von Passanten belebten. Besonders Frauen, elegante und solche, die es gern sein wollten, flanierten hier und blieben vor den Schaufenstern des Warenpalastes stehen, der der Bank gegenüberlag. Der Detektiv bemerkte eine Frau in hellem Pelzmantel und lichter Kappe auf den schwarzen Locken, die sich auffallend leicht und graziös bewegte. Er sah dieser Passantin interessiert nach, die sich jetzt eben von einem der Riesenfenster des Warenpalastes abwandte und — unzweifelhaft! — zu den Fenstern der Bank hinüberblickte.

Splittericht stand hinter doppeltem Glas, und unwillkürlich rückte er ein wenig zur Seite, so daß die Gardine ihn noch mehr verdeckte. Die Frau da drüben hätte ihn gewiß nicht erkennen können. Aber sein durch immerwährende Schulung geschärfter Instinkt trieb ihn zu doppelter Vorsicht.

Wer war die Frau?

Er zog ein bequem in der Westentasche zu bergendes, lichtstarkes Glas hervor, brachte Figur und Gesicht der Frau in die Linse und erkannte nun bei schärfster Betrachtung, wer da drüben ging. Das war zweifellos die schwarze Alma, die auch er auf seinen stillen Wegen in der Boyenstraße schon aufgesucht hatte.

Jetzt schritt sie weiter und entschwand aus seinem Gesichtsfeld. Der Detektiv zweifelte nicht einen Augenblick, daß es kein bloßer Zufall war, der die schwarze Alma am heutigen Vormittag hier vorüberführte. Er trug, eine kurze Bemerkung in sein Taschenbuch ein.

Während er aber schrieb, hörte er Stimmen, die ihn aufmerken ließen. Der Ton kam aus der Richtung des Büros des Konsuls her, aber nicht aus dem Büro selbst.

Und ohne es noch zu wollen, rein instinktiv, war Splittericht schon in dem leeren Büro. Jetzt hörte er deutlicher zwei Menschen miteinander reden. Er schlich auf den Zehen um den mächtigen Schreibtisch des Konsuls herum zu der Tür hin, die in Gertrud Reeses Arbeitsraum führte. Auch diese Tür war nicht ganz geschlossen. So konnte Splittericht der Unterhaltung folgen:

„Ach, verlaß mich doch nicht! ... Du bist ja der einzige, an den ich mich halten kann!“

Die Antwort war nicht zu verstehen. Die Männerstimme sprach zu leise. Das Mädchen aber redete deutlich und klar:

„Wenn du mich jetzt im Stich läßt, dann bin ich verloren, dann gehe ich ins Wasser. Ich kann nicht mehr leben ohne dich ... Sieh mal, ich bin sechsundzwanzig Jahre alt geworden und kein Mann hat mich geküßt ... und dann bist du gekommen ... ich wollte dich nicht liebhaben, denn ich habe mir von vornherein gesagt: es hat keinen Zweck, und es führt zu keinem guten Ende. Aber konnte ich dir denn widerstehen? Du hast mich angesehen, da wußte ich schon: das ist mein Schicksal.



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