Der Finger Gottes by Andreas Franz
Autor:Andreas Franz
Die sprache: de
Format: mobi, epub
Herausgeber: Knaur eBook
veröffentlicht: 2011-11-10T08:41:51+00:00
Das Licht ging um 3.52 Uhr wieder an.
Brackmann wurde vom plötzlichen grellen Schein seiner Schreibtischlampe geblendet. Er quetschte einen Fluch durch die Lippen, stand auf, um nach hinten zu den Frauen zu gehen. Sie sahen so übernächtigt aus, wie er sich fühlte.
»Tut mir leid, wenn ich mich noch nicht um Sie gekümmert habe. Ich verspreche Ihnen aber, mich gleich morgen früh«, er machte eine Pause, verbesserte sich, »gleich nachher um Sie zu kümmern.«
»Natürlich«, sagte Sarah Vandenberg, »wenn Sie uns nur garantieren, daß wir nicht zurückmüssen.«
»Aber ich kann Sie doch unmöglich die ganze Zeit über hier in der Zelle behalten . . .«
»Und warum nicht? Wir bitten Sie um Asyl. Zumindest um so was Ähnliches.«
»Nun . . .«, Brackmann machte ein verlegenes Gesicht und kratzte sich im Nacken, »Ihre Kleider und . . .«
»Hören Sie«, mischte sich Angela Siebeck ein, »die Damen sind doch ganz offensichtlich in Schwierigkeiten. Umsonst verkriecht sich niemand in einem . . . Gefängnis! Schon gar keine Vandenberg. Wenn sie nicht hierbleiben können, ich meine, ich könnte sie für kurze Zeit bei mir unterbringen.«
»Hm, Sie haben wohl recht«, sagte Brackmann und fuhr sich übers Kinn. »Sollte man nach Ihnen suchen, schätze ich, daß man zuerst mich nach Ihnen fragen wird. Es wäre wirklich besser, wenn Sie dann nicht hier sind.«
Die Vordertür wurde aufgerissen, Brackmann ging nach vorn und war erleichtert, daß es nur ein Soldat war, der mitteilte, daß die Telefonleitungen wieder funktionierten. Sofort nach dieser Meldung, und ohne eine Erwiderung abzuwarten, machte der Soldat kehrt.
Brackmann nickte, folgte ihm nach draußen. Es tröpfelte nur noch, es war fast windstill. Er drehte eine kleine Runde, überall war man damit beschäftigt, in den Überresten der Häuser und Wohnungen nach Angehörigen, Tieren und anderen liebgewonnenen Dingen zu suchen. Einigemal wurde er angehalten und gefragt, ob er diesen oder jenen gesehen hätte, doch fast immer mußte er bedauernd verneinen. Er half, wo er konnte; meist war es ein Kampf gegen die Zeit, ein ungerechter Kampf, denn die Zeit hatte einen gewaltigen Vorsprung.
Eine Mutter brach zusammen, als ihr toter Sohn unter einem Haufen Steine hervorgezogen wurde, der Kopf eine blutige, unkenntliche Masse, die fast vollständig vom Hals abgetrennt war. Sie warf sich auf ihn und schrie vor Entsetzen, preßte ihren Kopf auf die klaffende Halswunde, bis ihr Mann sie gewaltsam hochzog und sie an sich drückte, ihren Kopf festhielt, damit sie nicht länger auf ihren toten Sohn sah. Behutsam führte er sie weg.
Tonis Kneipe und das Rathaus sowie das Haus, in dem sich Angelas Wohnung befand, hatten, soweit Brackmann es überblicken konnte, der Schlacht mit nur geringen Blessuren getrotzt. Kurz bevor er sein Büro wieder erreichte, riß die Wolkendecke auf, Sternenlicht. Die Zellen waren leer. 4.45 Uhr.
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