Der Ekel by Jean-Paul Sartre
Autor:Jean-Paul Sartre [Sartre, Jean-Paul]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
Das ähnelte einer Farbe, aber auch ... einer Quetschung oder auch einem Sekret, einer Schweißabsonderung - und etwas anderem, einem Geruch zum Beispiel, das löste sich auf in den Geruch feuchter Erde, klammen und feuchten Holzes, in den schwarzen Geruch, der wie ein Firnis dieses nervige Holz überzieht, in den Geschmack von zerkauter, süßer Faser. Ich sah es nicht nur, dieses Schwarz: das Sehen ist eine abstrakte Erfindung, eine gereinigte, vereinfachte Idee, eine Menschenidee. Dieses Schwarz, diese amorphe und schlaffe Anwesenheit, ging weit über das Sehen, das Riechen und das Schmecken hinaus. Aber dieser Reichtum schlug um in Verwirrung, und schließlich war es nichts mehr, weil es zuviel war.
Dieser Moment war ungeheuerlich. Ich saß da, reglos und eisig, in eine entsetzliche Ekstase versunken. Aber aus dem Innern dieser Ekstase war etwas Neues aufgetaucht; ich verstand den Ekel, ich beherrschte ihn. Eigentlich formulierte ich mir meine Entdeckungen nicht. Aber ich glaube, daß es mir jetzt leichtfallen würde, sie in Worte zu fassen. Das Wesentliche ist die Kontingenz. Ich will sagen, daß die Existenz ihrer Definition nach nicht die Notwendigkeit ist. Existieren, das ist dasein, ganz einfach; die Existierenden erscheinen, lassen sich antreffen, aber man kann sie nicht ableiten. Es gibt Leute, glaube ich, die das begriffen haben. Nur haben sie versucht, diese Kontingenz zu überwinden, indem sie ein notwendiges und sich selbst begründendes Sein erfanden. Doch kein notwendiges Sein kann die Existenz erklären: die Kontingenz ist kein Trug, kein Schein, den man vertreiben kann; sie ist das Absolute, folglich die vollkommene Grundlosigkeit. Alles ist grundlos, dieser Park, diese Stadt und ich selbst. Wenn es geschieht, daß man sich dessen bewußt wird, dreht es einem den Magen um, und alles beginnt zu schwimmen, wie neulich abends im Rendezvous des Cheminots: das ist der Ekel, das ist das, was die Schweine - die vom Coteau Vert und die anderen - vor sich selbst mit ihrer Idee vom Recht zu vertuschen suchen. Aber was für eine armselige Lüge: niemand hat das Recht; sie sind vollständig grundlos, wie die anderen Menschen, es gelingt ihnen nicht, sich nicht als zuviel zu fühlen. Und in sich selbst, insgeheim, sind sie zuviel, das heißt, amorph und unbestimmt, traurig.60
Wie lange dauerte diese Faszination? Ich war die Wurzel des Kastanienbaumes. Oder vielmehr, ich war ganz und gar Bewußtsein ihrer Existenz. Noch losgelöst von ihr - da ich mir ihrer ja bewußt war - und dennoch in ihr verloren, nichts anderes als sie. Ein unbehagliches Bewußtsein, das sich dennoch mit seinem ganzen Gewicht, aus dem Gleichgewicht gebracht, auf dieses reglose Stück Holz sinken ließ. Die Zeit war stehengeblieben: eine kleine schwarze Lache zu meinen Füßen; es war unmöglich, daß etwas nach diesem Moment kommen würde. Ich hätte mich gern aus dieser gräßlichen Lust herausgerissen, aber ich konnte mir nicht einmal vorstellen, daß das möglich wäre; ich war drin61; der schwarze Baumstamm ging nicht hinunter, er blieb da, in meinen Augen, wie ein zu dicker Brocken in einer Kehle steckenbleibt. Ich konnte ihn weder akzeptieren noch ablehnen. Mit Hilfe welcher Anstrengung habe
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