Der Ehrliche ist der Dumme. Über den Verlust der Werte by Ulrich Wickert
Autor:Ulrich Wickert [Wickert, Ulrich]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783455850918
Herausgeber: Hoffmann und Campe Verlag
veröffentlicht: 2015-07-30T16:00:00+00:00
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Eine Politikverdrossenheit gibt es nicht, trotz allem! Das ist das Ergebnis von Untersuchungen[66] – ungeachtet dieses negativen Bildes von Parteien und Politikern. Im Gegenteil: In den letzten Jahren ist das Interesse an Politik massiv gewachsen. Im Rahmen des Wertewandels haben sogar beträchtliche Teile der Bevölkerung ihre politische Einstellung geändert von bisher passivem Vertrauen in eine aktive Bereitschaft zu handeln. Mit dem gewachsenen Interesse für Politik ist allerdings auch die Unzufriedenheit darüber angestiegen, wie der Staat regiert wird. Die Meinung, daß man zwar alle vier Jahre wählen darf, die Politiker sich im Grunde aber gar nicht darum kümmern und doch nur tun, was sie wollen, wird inzwischen von fast allen geteilt.
Wenn es Verdrossenheit gibt, dann eine, die sich gegen Parteien richtet, die Lösungen versprechen, und gegen Politiker, die nicht nach diesen Versprechungen handeln. Das spüren die Parteien bei Wahlen. Die traditionellen oder affektiven Bindungen an eine Partei haben sich erheblich gelockert, und die Bürger treten bewußter an die Urne, wechseln leichter zwischen den Angeboten oder lehnen sie einfach ab und wählen nicht.
Diese Entwicklung geht mit zwei Phänomenen einher: Erstens ziehen sich besonders die unteren Gesellschaftsschichten immer mehr aus dem politischen Geschehen zurück. Zweitens werden diejenigen, die sich für Politik interessieren, kritischer. Diese gewachsene Fähigkeit, die politische Wirklichkeit abzuwägen, führt allerdings zu Erkenntnissen, die den Willen, sich zu engagieren, bremsen. Deshalb wird die größere Bereitschaft zu handeln nicht unbedingt umgesetzt! Denn es fehlt an Möglichkeiten.
Die Entmachtung des Staates durch die etablierten Parteien macht verdrossen. Die große Anzahl von Neugründungen, seien es STATT Partei, Bund Freier Bürger etc., zieht derzeit Personen aus den oberen Schichten an, die eine Veränderung der politischen Landschaft für notwendig halten, doch die Übermacht der bestehenden Strukturen gibt ihnen nicht die Möglichkeit. Hinzu kommt die Unfähigkeit jener gebildeten Individualisten, sich in ein Parteienkonzept und die notwendige Gruppendisziplin einzubringen. So erleiden diese Ausweichgruppierungen einen schnellen Tod und führen schließlich zu einer vertieften politischen Enttäuschung.
Wie sich das Verhältnis des Bürgers zum Staat in Zukunft entwickeln wird, hängt davon ab, wie und ob sich Parteien und Politiker grundlegend bessern. Leichte Veränderungen sind wegen des öffentlichen Druckes und des daraus resultierenden Wählerverhaltens zu erkennen. Da wir jedoch davon ausgehen können, daß die etablierten Parteien so in ihrem Kartell verfangen sind, daß sie daraus weder ausbrechen wollen noch können, wird die Verdrossenheit steigen. »Der politische Bereich wirkt insoweit nicht stabilisierend, sondern eher destabilisierend auf die Werteentwicklung.«[67]
Kurzfristige Stimmungsumschwünge hat es immer wieder gegeben. Ausgelöst durch die wirtschaftliche Krise 1993/94 sind die Bürger zusätzlich irritiert und streben verstärkt nach Sicherheit, weshalb sie nicht nur zu Opfern bereit sind, sondern Politiker mit Führungsfähigkeiten suchen; jemanden, dem sie Vertrauen schenken können. Aber die Deutschen sind heute so unbedingte Anhänger der Freiheitswerte in einer Demokratie, daß die Sorge, sie könnten wie vor sechzig Jahren wieder einem Führer folgen, völlig abwegig ist. Im Gegenteil: selbst wenn sie jetzt nach starken Politikern Ausschau halten, ist ihnen alles, was mit Gehorsam zu tun hat, suspekt.
Allerdings mögen Deutsche genausowenig Unordnung. Und die Bereitschaft, einer politischen Führungskraft zu vertrauen, wird nicht bedingungslos erbracht. Als Gegenleistung wird Kompetenz verlangt, die bestehenden Probleme in der Gesellschaft zu lösen.
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The Blackwell Companion to Hermeneutics by Keane Niall; Lawn Chris;(999)
Über die Freiheit by John Stuart Mill(918)
Zur Urgeschichte der Deutschen by Friedrich Engels(912)
Das Ende der Illusionen by Andreas Reckwitz(911)
Die Optimierungsfalle by Nida-Rümelin Julian(909)
Südostasien by Edith Konrad(900)
Das Wesen des Christentums by Ludwig Feuerbach(895)
Die Verantwortung der Linken by Jan Korte(894)
Dialettica dell'illuminismo by Theodor W. Adorno Max Horkheimer(870)
Fünf Meditationen über den Tod und über das Leben by Cheng François(860)
Der Fall by Camus Albert(844)
Negative Moderne by Hillenkamp Sven(830)
DMT: Forschung, Anwendung, Kultur by Markus Berger(824)
Anatomie der menschlichen Destruktivitaet by Erich Fromm Rainer Funk(820)
Friedrich v. Schiller's Biographie by Heinrich Döring(819)
The Political Fragmentation of Germany by Zef M. Segal(812)
Artgerecht ist nur die Freiheit - eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen by C.H.Beck(789)
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