Der Chinese by Friedrich Glauser

Der Chinese by Friedrich Glauser

Autor:Friedrich Glauser [Glauser, Friedrich]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Krimi, Deutsche Bücher


Im Gewächshaus

»Es ist nicht meine Schuld, Herr Studer! Er ist mir durchgebrannt, der Ernst! Ich weiß schon, ich hätt' aufpassen müssen, aber ich war so müd, Herr Studer, so müd! Den ganzen Tag hab ich mich geplagt, damit Ihr zufrieden seid. Ich bin eingeschlafen, Herr Studer, nachdem uns der Wottli wieder eingeschlossen hat. Auch der Ernst ist ins Bett und hat geschnarcht. Jetzt weiß ich, daß er sich nur verstellt hat – aber damals hab ich geglaubt, er schläft wirklich! Wirklich! Ich kann weiß Gott nichts dafür!«

Der Wachtmeister setzte sich rittlings auf einen Stuhl, legte die Unterarme auf die Lehne und schwieg. Wenn alles durcheinander ging, wollte er zuerst das Ganze in Ruhe überdenken, um nachher einen Entschluß fassen zu können. Um sechs Uhr hatte Paul Wottli mit dem Räuchern begonnen, um sechs Uhr fünfzehn war er fertig geworden. Gut. Dann führte er die beiden – übrigens warum hatte der Lehrer nur vom Ernst gesprochen und den Ludwig gar nicht erwähnt? – führte er also die beiden ins Krankenzimmer zurück und schloß sie dort ein. Ja, aber: er hatte erzählt, daß er seinen Schüler um halb sechs schon geholt habe. Angenommen, er habe eine Viertelstunde für die Vorbereitungen zum Ausräuchern gebraucht, so war da dennoch eine Viertelstunde, deren Inhalt man nicht kannte. Hungerlott behauptete, er habe seinen Schwiegervater viertel vor sechs am Bahnhof getroffen – also war er, wenn er schnell gefahren war, frühestens fünf Minuten nach sechs angekommen. Da aber Nebel herrschte, hatte er sicher länger gebraucht und Pfründisberg erst gegen halb sieben Uhr erreicht. Studer erinnerte sich, daß die Bahnhofsuhr zehn vor sieben zeigte, als er unter ihr vorbeifuhr, und daß es dreiviertel neun geschlagen hatte, als er mit dem Essen fertig war. Also hatte er mit dem Motorrad wenigstens fünfzig Minuten für die Strecke Bern-Pfründisberg gebraucht. Zehn Minuten – Gespräch mit Wottli vor der Haustür. – Dreißig Minuten – z'Nacht essen. Fünfzehn Minuten – Brissago, Abendblatt. Er war also zwischen halb und dreiviertel acht angekommen…

»Hock ab, Ludwig«, sagte er. Und, zur Saaltochter gewandt, fügte er hinzu: »Huldi! Bring ihm en Becher Hells.«

Und erst nachdem das Knechtli sein Bier getrunken hatte, forderte Studer es auf, sich die Stirn abzuwischen.

»Bist gesprungen?«

»Jaja.« Ludwig nickte ein paarmal. Er habe gemeint, es pressiere. Studer hob seine mächtigen Schultern. Pressieren! Wenn jemand einen Raum betrat, der mit Blausäuregas gefüllt war, so brauchte sicher niemand zu pressieren, um ihn wieder herauszuholen. Drei Minuten genügten, nachher war jeder Rettungsversuch vergeblich.

»Erzähl jetzt, wie's zugegangen ist – deine Eile war unnötig.« Ludwig Farny war erstaunt; er riß die blauen Augen auf und starrte den breiten Mann an. Es war das erste Mal, daß er ihn Schriftdeutsch reden hörte. Und er probierte, dem Wachtmeister dies nachzumachen.

»Ich habe«, begann er, zögerte, verbesserte sich dann:

»Ich hörte«, sprach er, »großen Lärm. Und von diesem Lärm wachte ich auf. Es war dunkel im Zimmer. Wissen Sie, Herr Studer (der Wachtmeister senkte den Kopf, damit niemand ihn beim Lächeln ertappte. Zum Donner! ›Sie‹, sagte das Knechtlein, und aus der Schule erinnerte es sich wohl an die Mitvergangenheit), um halb sieben sperrte uns der Wott… der Herr Wottli ein.



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