Der Buchspazierer by Carsten Henn

Autor:Carsten Henn
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783866124776
Herausgeber: PIPER
veröffentlicht: 2020-11-01T23:00:00+00:00

An diesem Abend sagte Carl all seinen Kunden, dass sie ab jetzt bei ihm persönlich bestellen sollten, am besten, wenn er vorbeikam, ansonsten telefonisch. Er sei fast immer erreichbar. Die Gefahr war zu groß, dass Sabine Gruber sie ansonsten überreden würde, Carls Dienste nicht mehr in Anspruch zu nehmen. Dann könnte nämlich keiner mehr etwas gegen seine Entlassung sagen. Keine Kunden, kein Carl.

Schascha hatte nur Bücher für diejenigen mitgenommen, die bisher keine von ihr geschenkt bekommen hatten. So gelangte Doktor Faustus an den Kalender Die süßesten Hundewelpen der Welt und tat sein Bestes, sich darüber zu freuen. Carl hatte für Mister Darcy eine Schmuckausgabe von Stolz und Vorurteil – und nannte sie ein kleines Dankeschön der Buchhandlung für langjährige Treue. Daraufhin erwiderte dieser, er habe doch gestern erst ein Buch wegen Carls panamesischem Geburtstag erhalten, und die Holzwirtschaft sei viel faszinierender als vermutet.

Dabei linste er mit einem Auge zu Schascha, die auf Anhieb um drei Zentimeter wuchs.

Obwohl Effi nichts bestellt hatte, gingen sie an ihrem Haus vorbei, um nach ihr zu sehen. Es brannte kein Licht, und niemand öffnete die Tür, nachdem sie geklingelt hatten. Carl steckte Doktor Kästners Lyrische Hausapotheke in ihren Briefkasten, denn er vermutete, dass sie in vielen Lebensbereichen Hilfe benötigte. Allerdings war er sich nicht sicher, ob Kästners wundervolle Reime ausreichen würden.

Als sie bei Herkules am Küchentisch saßen, fragte Schascha ihn, wie der Werther (den Namen hatte sie sich leicht merken können) gewesen sei.

»Weißt du, es handelt sich um einen Briefroman, in dem es um den jungen Rechtspraktikanten Werther geht, der unglücklich in Lotte verliebt ist – die aber mit einem anderen Mann verlobt ist.« Schascha stutzte, denn das waren haargenau die Worte, die Carl zur Beschreibung des Romans benutzt hatte. Als hätte Herkules sie auswendig gelernt.

Für ihn hatte Carl ein Buch gewählt (roter Einband), in dem die wichtigsten Werke der Weltliteratur zusammengefasst wurden. Er freute sich gar nicht darüber, als er es auspackte, sondern schaute es nur irritiert an. Erst als Schascha erklärte, was Carl sich dabei gedacht hatte, erschien ein mattes Lächeln in Herkules’ Gesicht.

»Nun brauchen Sie mich nicht mehr, um Ihnen Romane zusammenzufassen«, sagte Carl. »In diesem Buch erledigen das echte Experten.«

Da verschwand das matte Lächeln wieder, ausgeknipst wie eine Lampe.

Es war Schascha, die verstand. Sie lehnte sich zu Carl. »Achte auf seine Augen!«

Dann schlug sie das Buch auf und wandte sich an Herkules. Mit der Spitze des Zeigefingers fuhr sie über das Inhaltsverzeichnis. »Hier stehen die ganzen Namen von den wichtigen Romanen. Da zum Beispiel Die Insel Rügen, das ist ja ganz berühmt, haben Sie das schon gelesen?«

»Nein, noch nicht.«

»Aber doch bestimmt das hier?« Sie tippte auf eine Zeile und ließ ihre Frage eine Weile in der Luft hängen. »Die Schafe der Familie Stein.«

»Leider auch nicht. Aber Sie müssen mit mir weiter über die Romane reden, Herr Kollhoff! Das hier ist sicher super, aber wenn Sie erzählen, dann werden die Bücher immer richtig lebendig.«

»Wenn Sie das wünschen, mache ich es natürlich weiterhin sehr gerne.«

Jetzt ging die Lampe wieder an. Herkules wollte die

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