Der Baum der roten Sterne. Roman by Tessa Bridal

Autor:Tessa Bridal [Bridal, Tessa]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783105616918
Herausgeber: FISCHER Digital

Zehn

Sobald bekannt geworden war, daß ich in die Vereinigten Staaten gehen würde, kamen die tías zusammen, um mich an ihren Erkenntnissen im Hinblick auf Auslandsreisen teilhaben zu lassen.

»Ich zum Beispiel«, erklärte Tía Catalina, »hebe meine alte Unterwäsche für solche Gelegenheiten auf. Wenn man auf Reisen ist, kann Wäschewaschen und Trocknen schrecklich lästig sein. Ich werfe meine alten Ihr-wißt-schon-was einfach jeden Tag über Bord.«

»In einem Flugzeug ist das nicht so leicht, Catalina«, bemerkte Tía Aurora.

»Oh, fliegt Magdalena denn?« fragte Tía Catalina erstaunt.

»Ja, Tía Catalina«, erwiderte ich.

»Oh, nun, dann habe ich zu diesem Thema nichts mehr zu sagen.«

»Ich werde dir meinen Geldgürtel leihen«, sagte Tía Josefina. »Du kannst deinen ganzen Schmuck darin verwahren, und niemand kann ihn dir wegnehmen, es sei denn, er schlägt dich vorher nieder.«

»Danke, Tía«, sagte ich.

»Sie haben keine Bidets, weißt du«, sagte Tía Catalina, an ihrem Tee nippend.

»Keine Bidets?« wiederholte Tía Josefina verwundert.

»Nein«, bestätigte Tía Aurora. »Ich weiß von Miss Newman, daß man sie nur gelegentlich in den Häusern der sehr Reichen findet.«

»Was für Geschenke bringst du deiner Familie mit, Magdalena?« erkundigte sich Tía Catalina.

»Nimm keine Teewärmer«, warf Tía Josefina ein. »Aurora hat aus irgendeinem nur ihr selbst bekannten Grunde Teewärmer mitgenommen, obwohl jeder, der halbwegs bei Verstand ist, weiß, daß Amerikaner nur Kaffee trinken, und die Amerikaner hielten sie für Hauben und setzten sie auf.«

»Traurig, aber wahr«, seufte Tía Aurora.

»Ich glaube, Mamá gibt mir die Sachen mit, die typisch für Uruguay sind.«

»Ich wußte gar nicht, daß wir Streiks und Unfähigkeit verpacken können«, sagte Tía Josefina.

Tía Aurora funkelte sie an. »Sie haben dort auch Streiks! Wenn du Konversation machst«, sagte sie, sich wieder an mich wendend, »mußt du sehr aufpassen. Politik und Religion sind tabu.«

»Und Sex«, fügte Tía Josefina hinzu.

»Was gibt es noch zu besprechen«, wollte Tía Catalina wissen.

»Du wirst auch feststellen«, fuhr Tía Aurora fort, »daß Amerikaner dir, kaum daß ihr euch kennengelernt habt, die persönlichsten Fragen stellen werden.«

»Miss Newman hat mich gefragt, ob mein Vater mehr als eine Geliebte hatte«, sagte Tía Catalina geziert. »Sie glaubte mir nicht, als ich ihr sagte, daß er keine hatte.«

»Wahrscheinlich hätte Mamasita ihn umgebracht«, sagte ich lachend.

»Du wirst auch feststellen«, fuhr Tía Aurora unbeirrt fort, »daß du dir, wenn du den Wagen eines amerikanischen Mannes auch nur erwähnst, die gesamte Geschichte des Automobils anhören mußt, angefangen von seiner Erfindung über jede Verbesserung bis heute. Wenn du dann noch wach bist, wird er mit einem bis ins kleinste gehenden Bericht über die Geschichte jedes Teils seines besonderen Automobils fortfahren.«

»Wie wir von unserer lieben Miss Newman wissen«, sagte Tía Josefina, »sind amerikanische Frauen ausgiebig mit sich selber beschäftigt.«

»Recht so«, sagte Tía Aurora defensiv, »sonst kräht ja kein Hahn nach einem.«

»Du wirst ihr Englisch gräßlich finden«, fügte Tía Catalina hinzu.

»Sie halten nicht auf Bildung. Wenn sie reden, scheint es ihnen nur darauf anzukommen, die Grundregeln der Grammatik möglichst zu mißachten.«

»Wir sollten Magdalena helfen, indem wir bis zu ihrer Abreise nur Englisch mit ihr sprechen«, erklärte Tía Aurora. »Jedenfalls, wenn Mamasita nicht dabei ist …«

Alle Tías sprachen fließend Englisch. Darauf hatte mein Großvater, der in London geboren war, bestanden.

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