Der Bademeister ohne Himmel by Pellini Petra
Autor:Pellini, Petra [Pellini, Petra]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 2024-07-16T00:00:00+00:00
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In letzter Zeit spaziert er durch die Wohnung und betrachtet Möbel, Bilder, Dinge, als hätte er sie nie zuvor gesehen. Er nimmt Gegenstände in die Hand, tastet sie ab, stellt sie zurück, greift nochmals danach. Für einen Rundgang durch die Wohnung, in der er seit Jahrzehnten lebt, kann er eine halbe Stunde brauchen. Er verrückt Topfpflanzen, wobei die meisten für ihn zu schwer sind. «Besser so?», frage ich und rücke eine Fächerpalme einige Zentimeter näher ans Fenster. Er klopft, warum auch immer, gegen Materialien und streicht mit der Handfläche über Kanten. Und da wir in Huberts Wohnung festhängen, versuche ich das Optimale an Anreizen aus seiner Umgebung rauszuholen. Dann und wann verrücke ich ein Bild, sodass es schräg hängt. Früher oder später bemerkt er das Bild und beginnt, an ihm herumzuwerkeln. Es gelingt ihm nicht, es gerade zu hängen, aber er ist beschäftigt.
«Alles im Lot?», frage ich im Vorbeigehen. Oder ich rücke den Küchentisch wenige Zentimeter in Richtung Tür, damit er wackelt. Auf den Tisch lege ich zwei Holzplättchen neben den Salzstreuer. Bemerkt Hubert den wackelnden Tisch, nimmt er die Plättchen, geht auf die Knie und versucht, sie unter das Tischbein zu legen. Er plagt sich schrecklich, sein Kopf läuft hochrot an, er flucht, aber er schafft es. Würde ich zu ihm unter den Tisch kommen, würde er mich verjagen. Meist helfe ich ihm hoch. Es gibt jedoch Tage, an denen schafft er es, alleine wieder aufzustehen.
«Hubert, warum wackelt der Tisch nicht mehr? Warst du das? Bravo!»
Zugegeben, manchmal gehen auch mir die Ideen aus und ich weià mit Hubert nichts anzufangen. Wir schauen in die Luft, an die Wand, aus dem Fenster. Ich mache mir einen Spaà daraus. Langeweile kann richtig erholsam sein. Wir beobachten die Welt oder besser gesagt, wir beobachten Huberts Welt. Was sich so anbietet, spreche ich an. Zum Beispiel den AbreiÃkalender. Das mit dem Datum ist eine dankbare Sache. Ich erwähne den Wochentag, Monat, Jahreszeit und alles, was dazugehört. Also Feste, Feierlichkeiten, Geburtstage, was die Menschen um diese Jahreszeit so machen oder wie die Tiere oder die Natur sich verhalten. Oder ich erzähle, was zum selben Datum vor zehn, dreiÃig, hundert Jahren passiert ist. Google findet alles und ganz schmerzfrei erweitert sich mein Allgemeinwissen.
Ich mag es, Hubert Fragen zu stellen. Die Fragen wähle ich absichtlich so, dass er sie leicht beantworten kann. Ziemlich oft bekomme ich keine Antwort. Manchmal bekomme ich ein Ja, häufiger ein Nein. Das Nein scheint ihm leichter über die Lippen zu kommen. Es gibt aber auch Tage, an denen redet er irgendwie drum herum oder er sieht mich kritisch an und sagt, ich soll nicht so dumme Fragen stellen.
Habe ich Lust, mit ihm zu zanken, sage ich, dass das keine pädagogisch wertvolle Auskunft ist und es keine dummen Fragen gibt. Wir schieÃen hin und her, bis Hubert richtig lebendig wirkt. Wobei er längst nicht mehr argumentiert, aber er knurrt und schimpft. Vor Tagen hat er sogar auf den Boden gestampft. Ich finde, dass ihm das guttut. Immerhin hat er eine Meinung zu vertreten.
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