Der Archipel Gulag by Alexander Solschenizyn
Autor:Alexander Solschenizyn [Solschenizyn, Alexander]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Fischer E-Books
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
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Die sozial-nahen Elemente
Nun ist es auch an meiner schwachen Feder, in den Lobgesang auf dieses Geschlecht einzustimmen. Besungen wurden sie als Seeräuber und Filibuster, als Vagabunden und flüchtige Kettensträflinge. Besungen wurden sie als edle Wegelagerer, von Robin Hood bis hin zum Operettenhelden, und wir erfuhren, daß sie, die Sanftmütigen, nur die Reichen plündern und mit den Armen teilen.
Ob sich nicht gar die gesamte Weltliteratur der Huldigung der Kriminellen verschrieben hat? Dem François Villon wollen wir keinen Vorwurf machen, aber Victor Hugo und Balzac, sie sind dem Thema erlegen, und auch Puschkin fand just an den unterweltlerischen Zügen der Zigeuner Gefallen. (Und wie hielt’s Byron mit den Ganoven?) Doch niemals wurden sie so eifrig, so einmütig, so beharrlich besungen wie in der Sowjetliteratur. Wer hat sich nicht alles in heiligem Eifer überschlagen, während er uns die Unterweltler beschrieb: Ihre lebendige ungezügelte Negativität am Anfang, ihre dialektische Umerziehung am Ende; Majakowski finden wir in dieser Reihe (Schostakowitsch folgte ihm auf den Fersen, schrieb die Ballettmusik zu Das Fräulein und der Hooligan), auch Leonow, Selwinski, Vera Inber und viele andere mehr.
Im alten Rußland galten die Berufsganoven zu Unrecht als unverbesserlich, als Verbrecher auf Dauer, als «Grundstock der Kriminalität» (im Westen wird diese Ansicht wohl auch heute noch bestehen). Darum wurden die Politischen in den Gefängnissen und während des Transports vor ihnen geschützt. Das alte Rußland hatte für die Gewohnheitsverbrecher nur die eine, von Alexander Urussow geprägte Formel zur Hand: «Spannt sie ins eherne Joch des Gesetzes!» Der Unterwelt waren Schranken gesetzt, das galt für das ganze Land, das galt für die russischen Gefängnisse – und blieb bis 1914 so.
Doch dann waren die Ketten bald gefallen, die Freiheit zog ins Land. Die in die Millionen gehende Fahnenflucht des Jahres 1917, der Bürgerkrieg, der darauf folgte – sie ließen viele Hemmungen fallen, die Leidenschaften tobten, die Unterweltler warfen die Zügel am raschesten ab, wollten absolut nicht ins Joch und wurden bald belehrt, daß dies auch nicht mehr nötig sei. Man fand es nützlich und ergötzlich, sie als Feinde des Privateigentums anzuerkennen, als revolutionäre Kraft somit, die in proletarische Bahnen geleitet werden müßte; große Schwierigkeiten waren hierbei ja nicht zu erwarten. Und nun, sozial gedacht: Wer trug die ganze Schuld daran? Natürlich das Milieu. Also: Ärmel aufgekrempelt und ran an die Umerziehung dieser gesunden Lumpenproletarier! Sie seien eingegliedert ins bewußte Leben!
Heute aber, nachdem mehr als vierzig Jahre verstrichen sind, wär’s angebracht, sich umzublicken und Zweifel anzumelden. Denn: Wer hat wen umerzogen? Die Tschekisten die Unterweltler? Oder die Unterweltler die Tschekisten? Ein Unterweltler, der zum tschekistischen Glauben übertrat, war bereits ein Suka, ein fauler Junge, dem wurde von den ehemaligen Kumpanen der Garaus gemacht. Ein Tschekist aber, der sich die Psychologie eines Unterweltlers zu eigen machte, ward ein zielstrebiger Untersuchungsrichter der dreißiger und vierziger Jahre oder ein tatkräftiger Lagerkommandant, hochgeehrt und rasch befördert.
Und die Psychologie eines Unterweltlers, die ist sehr einfach, die läßt sich leicht lernen:
1. Ich will leben und genießen, auf die übrigen hab ich geschissen!
2. Der Stärkere ist immer im Recht.
3. Läßt man dich in
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