Denn nichts ist je vergessen by Marini Adele

Autor:Marini, Adele [Marini, Adele]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2015-10-15T16:00:00+00:00

KAPITEL 23

Mailand, 12. Juli 2000

Es dauerte drei Tage, bis Marcella sich endlich bei ihm meldete. Als wolle sie zwischen sich und dem Ispettore eine Schranke errichten, rief sie ihn ganz bewusst im Präsidium an.

»Ich habe deinen Zettel gefunden, aber ich habe es nicht geschafft, dich früher anzurufen. Entschuldige bitte.«

Mauris kam ohne Umschweife zur Sache: »Welches Verhältnis hattest du zu der Toten? Hat sie dir etwas bedeutet?«

»Clara D’Amico?«

»Wer denn sonst?«, fragte Mauris unhöflich, beinahe schon unverschämt, aber er konnte nicht anders. Marcella schien es allerdings nicht aufzufallen.

»Sie war die Mutter meiner besten Freundin, Nadia. Einer Mitschülerin, die während meiner Zeit im Gymnasium an Leukämie starb, vielleicht habe ich dir davon erzählt. Sie suchte meine Nähe, besonders in letzter Zeit. Vielleicht hatte sie ihre Muttergefühle auf mich übertragen, denn sie gab mir ständig Ratschläge. Sie war schon fast aufdringlich. Aber jetzt wird sie mir fehlen … Der Gedanke, dass sie gestorben ist, weil ich nicht zu Hause war, macht mich ganz krank … Sie litt an Asthma, und wenn ich da gewesen wäre … Mein Gott, ich habe so ein schlechtes Gewissen!«

»Dann wollte sie gerade bei dir klingeln, als sie starb, stimmt das?«

»Ja. Sie kam wohl nur ein paar Minuten später an, nachdem wir das Haus verlassen hatten. Der Anfall muss ganz plötzlich gekommen sein, sonst wäre sie in die Wohnung gegangen. Sie hatte die Schlüssel.«

»Gerade heute Morgen habe ich den Obduktionsbericht erhalten. Anscheinend war es Tod ohne Fremdeinwirkung. Sie hatte einen Anfall, durch den sie das Bewusstsein verlor. Als sie fiel, ist sie mit dem Gesicht auf den Boden geschlagen und dann an ihrem eigenen Blut erstickt. Entschuldige, dass ich das so brutal sage. Sie hat sehr viel Blut aus der Nase verloren und dieses dann in bewusstlosem Zustand eingeatmet.«

»Ja, so könnte es gewesen sein. Sie litt seit Jahren an Asthma. Ich glaube, sie hatte auch ein kleines Emphysem. Doch normalerweise bekam sie diese Anfälle mit Sprays oder schlimmstenfalls mit Sauerstoff unter Kontrolle. Sie ging nie ohne ein paar volle Inhalatoren aus dem Haus. In der Wohnung stand in jedem Zimmer einer, damit sie sie immer in Reichweite hatte.«

»Das deckt sich mit dem Obduktionsbefund. Sie haben alles Mögliche in ihrem Blut gefunden. Vor allem Äther und Kortison.«

»Das Kortison hat sie so dick und unförmig werden lassen. Die arme Clara, sie war gar nicht fett, sondern nur aufgedunsen.«

»Man hat tatsächlich Kortisonsprays in ihrer Tasche gefunden. Es ist schon merkwürdig, dass sie nicht einmal versucht hat, sie zu benutzen, als sie den Anfall spürte.«

»Ja, das ist merkwürdig.« Marcella zögerte, in Gedanken versunken. »Darüber habe ich auch schon nachgedacht. Der Anfall muss sie im Fahrstuhl überrascht haben, und dann ist sie wohl in Panik geraten. Vielleicht hatte sie schon Atemnot, als sie das Stockwerk erreichte. Aber etwas passt da nicht zusammen. Sie hatte doch meine Wohnungsschlüssel in der Hand, als sie gestorben ist. Ein Zeichen dafür, dass sie schon bei mir geklingelt und festgestellt hatte, dass die Wohnung leer war, denn sie hätte sich nie selbst aufgesperrt, ohne sich vorher zu vergewissern, dass ich nicht da bin.

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