Dein perfektes Jahr by Charlotte Lucas
Autor:Charlotte Lucas [Lucas, Charlotte]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Bastei Entertainment
veröffentlicht: 2016-07-10T22:00:00+00:00
29
Jonathan
4. Januar, Donnerstag, 10:07 Uhr
Es war nicht so, dass Jonathan N. Grief ein wirklich schlechtes Gewissen hatte, als er erst um kurz nach zehn am nächsten Tag erwachte. Der Abend war lang gewesen, da war es nur natürlich, dass er nicht wie sonst um 6:30 Uhr aus den Federn sprang. Aber er verspürte einen leisen Seelenkater, eine gewisse Wehmut, ein undefinierbares … eben etwas Undefinierbares.
Doch kaum hatte er sich aufgesetzt, verflog diese kleine, nicht zu greifende Sorge schon wieder, denn mit Blick auf das Filofax fiel ihm ein, was er vor wenigen Stunden beschlossen hatte: Er würde Leopold anbieten, vorerst bei ihm einzuziehen.
Gut gelaunt marschierte Jonathan ins Badezimmer, nahm eine ausgiebige Dusche und zog sich an. Keine Sportsachen –, das wäre nach dem Duschen sowieso Unsinn – sondern Stoffhose und Rollkragenpullover. Seine tägliche Joggingrunde würde er später nachholen. Oder sie – ein verwegener Gedanke – heute sogar ganz ausfallen lassen. Ihm war einfach nicht danach, und Leopolds Rat, das Leben mehr nach dem Wie-es-euch-gefällt-Prinzip zu gestalten, erschien ihm mindestens so einleuchtend wie der Verzicht auf Kohlenhydrate nach 18 Uhr. Mindestens.
Er lief die Treppe hinunter, ging zu Tinas Zimmer und klopfte an.
Die Tür schwang nach innen auf, Jonathan trat einen Schritt zurück, um zu verhindern, dass er seinen Gast womöglich kompromittierte, weil dieser noch nicht angezogen war.
»Leopold!«, rief er. »Guten Morgen, ich bin’s, Jonathan!« Während er auf eine Antwort lauschte, amüsierte er sich innerlich darüber, seinen Namen genannt zu haben. Wer sonst sollte hier wohl gerade stehen? Es blieb still im Zimmer, also klopfte Jonathan erneut sachte gegen die Tür. »Leopold? Bist du schon wach? Jetzt aber mal raus aus den Federn!« Keine Antwort. Jonathan klopfte noch einmal, dann trat er ein.
Tinas Zimmer war leer, die Tür zum kleinen Bad stand offen, auch hier konnte Jonathan niemanden entdecken. Das Bett war zerwühlt, der geblümte Bademantel und ein benutztes Handtuch lagen darauf. Doch ansonsten deutete nichts auf die Anwesenheit eines anderen Menschen hin.
Verwundert ging Jonathan hinaus in den Flur, wo hatte Leopold sich nur versteckt? Er blickte hinüber zur Garderobe – der Armeemantel war verschwunden, ebenso die Stiefel seines neuen Freundes.
Schlagartig breitete sich Beklemmung in Jonathan aus. War er tatsächlich so ein Idiot? Hatte er sämtliche Vorbehalte in den Wind geschlagen, um nun feststellen zu müssen, dass er einem Schlitzohr, einem Betrüger aufgesessen war? Einem, der seine Gastfreundschaft ausgenutzt und sich schon längst mit allem, was er hatte tragen können, aus dem Staub gemacht hatte? Und er hatte nicht einmal die wichtigen Räume wie Büro oder Esszimmer (das gute Tafelsilber!) abgeschlossen, sondern war weinselig in sein Bett getaumelt.
War er wirklich so ein – wie hatte Leopold ihn genannt? – Hornochse?
Offenbar schon.
Jonathan war, als könne er seinen Vater Wolfgang lachen hören. Laut und voller Schadenfreude darüber, dass sein »nichtsnutziger Sohn« mal wieder seine Lebensuntüchtigkeit unter Beweis gestellt hatte. Intuition? Ha, ha, ha, was für eine Intuition!?
Nein. Jonathan N. Grief straffte die Schultern. Das hätte jedem passieren können. Jedem, der wie er noch an Anstand und Moral glaubte, der …
Ach, was sollte dieser innere
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