Das siebte Kind - Roman by Blanvalet-Verlag <München>

Das siebte Kind - Roman by Blanvalet-Verlag <München>

Autor:Blanvalet-Verlag <München>
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
veröffentlicht: 2014-08-02T22:00:00+00:00


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BRIEF AUS DER VERGANGENHEIT

24. April 2001

Ich hätte die natürliche Aversion des Schicksals gegen die Symmetrie durchschauen müssen, des Menschen Schutzschild gegen die Ungewissheit und die Vorstellung, dass es keine höhere universelle Ordnung gibt. Ich hätte die Zeichen erkennen müssen, dass es aus seinem Himmelbett gestiegen war.

Mehr als vier Jahrzehnte lang waren Magdalenes zierliche, handgeschriebene Worte das einzige Echo aus Kongslunds unbekannter Vergangenheit, und ich hatte geglaubt, das würde auch so bleiben – bis das Schicksal seine Hand hob und durch die Wolkendecke auf mich zeigte. Mir war in diesem Moment unmittelbar klar, dass es kein Entrinnen mehr gab.

Eva Bjergstrands letzte Worte erreichten mich an einem Aprilmorgen 2001. Aus dem Nichts. Der Brief lag auf der braunen Bastmatte in der Halle, direkt unter dem Gemälde der Frau in Grün. Ich hätte ihn liegenlassen sollen, aber in einem der unbedachtesten Augenblicke meines Lebens tat ich genau das, wovon das Schicksal lange geträumt und worauf es gewartet hatte.

Die eine Briefmarke auf dem Umschlag zeigte das Opernhaus in Sydney, die andere ein springendes Känguru in einer graugelben Wüstenlandschaft. Imposante Briefmarken wie das Land, das sie repräsentierten, aber da ich früher einmal Briefmarken gesammelt hatte, wusste ich, dass australische Briefmarken selten etwas wert waren. Je größer sie waren, desto weniger Wert hatten sie.

Dieser absurde Gedanke ging mir durch den Kopf, als ich in der Halle stand.

Ich bin mir fast sicher, dass ich beim Anblick des Briefes ein instinktives Unbehagen empfand, aber möglicherweise empfinde ich das auch nur nachträglich so, weil dieses Schreiben so katastrophale Geschehnisse auslöste. Die Adresse war gut leserlich in Druckschrift geschrieben worden, aber der Postbote hatte im Eifer des Gefechts den Namen falsch gelesen, der auf dem Umschlag stand – und ihn deswegen Marie statt Martha Ladegaard zugestellt. Meine Pflegemutter war 1989 pensioniert worden und aus der Villa Kongslund in eine Wohnung in Skodsborg weiter oben am Strandvej gezogen. Der Brief war natürlich an sie gerichtet.

Ich brütete lange unentschlossen über dem Umschlag, während ich über seinen möglichen Inhalt nachdachte. Der Poststempel war vom 17. April 2001, der Brief war also eine Woche unterwegs gewesen.

Wahrscheinlich war der Absender ein ehemaliges Kind aus dem Heim oder eine dankbare Adoptivfamilie, die einen freundlichen Gruß von einem fernen Kontinent schickte – aber aus unerfindlichen Gründen überzeugte mich das nicht.

Ich trug den blauen Umschlag in das Königszimmer und setzte mich auf mein Bett. Meine krummen Finger zitterten wie Konfettischlangen im Wind, als ich ihn schließlich aufriss. Möglicherweise spürte ich bereits da die Angst, oder sie kam erst beim Lesen – das kann ich im Nachhinein nicht mehr so genau sagen.

In dem Umschlag steckte ein einzelnes, gefaltetes Blatt Papier, das auf beiden Seiten beschrieben war. Das Blatt war um einen zweiten, kleineren und ganz weißen Umschlag gefaltet worden. Auf den hatte der Absender mit krakeliger Handschrift zwei Worte geschrieben, mehr nicht: Mein Kind.

Ich sah mir das eine Blatt an, das im Vergleich zum Umschlag von durchschnittlicher Qualität und nicht für Luftpost gedacht war. Diese kleine Unlogik speicherte ich für eventuelle, spätere Verwendung in meiner rechten Hirnhälfte ab. Vielleicht verriet es mir ja etwas Brauchbares über den Absender.



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