Das rote Band by Donoghue Emma

Das rote Band by Donoghue Emma

Autor:Donoghue, Emma
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Piper
veröffentlicht: 2013-03-12T04:00:00+00:00


Tauwetter

Hell wie ein Apfel brach der Februar an. Der Schnee schmolz dahin, und der Wye und die Monnow liefen über die Ufer. Wo immer Mary den Blick hinwandte, war nur nasses Grün. Sie hatte gar nicht gewusst, dass die Erde aussehen konnte wie Samt.

Mrs Ash erklärte, es müsse schon mehr als eine Woche Sonnenschein geben, bevor sie sich zum Narren halten lasse. Düster zitierte sie:

Ist Mariä Lichtmess hell und klar,

Dräut zweimal Winterzeit im Jahr.

Doch trotz ihrer Voraussagen blieb die Luft so sanft und weich wie eine Feder. Jeden Tag gab es ein paar Minuten mehr Licht. Erst jetzt, wo sie entschwand, merkte Mary, wie sehr die Düsternis ihr aufs Gemüt gedrückt hatte.

»Meine Familie«, hörte Mary sich selbst sagen, als sie an der Pumpe auf der Monnow Street mit einer Spülmagd schwatzte, »meine Familie, das sind die Jones’ aus der Inch Lane.«

»Die Roberts-Schwestern waren die Ersten in dieser Gegend, die sich eine Kutsche anschafften«, raunte Mrs Jones, damit der Kutscher es nicht hörte. »Sie haben bisher noch nie nach mir gesandt. Wie freundlich von ihnen, mir den Kutscher zu schicken.«

Mary durchwühlte abwesend die Truhe am Boden der Kutsche. »Sollen wir ihnen den burgunderfarbenen Grosgrain zeigen?«

»Und den rosafarbenen. Sie haben es gern ein bisschen heller.«

Die dicke Schlammschicht auf der Monnow Street bremste die Kutschräder. Die Torbrücke an diesem Ende der Stadt war ein uraltes steinernes Bauwerk, grau mit rötlichen Flecken. An der engen Passage kroch der Verkehr nur mehr dahin. Packpferde rempelten in der engen Durchfahrt mit Korn beladene Leiterwagen an. Mary erhaschte einen Blick auf eine winzige Tür. Ganz offenbar wohnte in dem steinernen Bauwerk über ihnen jemand. Kaum waren sie jenseits des Tores, löste sich etwas in ihrer Brust, und es schien plötzlich mehr Luft zu geben. Es war das erste Mal, begriff sie, dass sie wieder außerhalb der Stadtmauern war.

»Sind diese beiden Schwestern schöne Damen?«, fragte sie, während die Kutsche die Rampe hinabruckelte. Dichtes Gebüsch überwuchs die trüben Fenster. Sie schaute hoch zu den bemalten Fensterläden des Drybridge House und den zerbröckelnden Reliefs über dem Eingang und stellte sich darin zwei Heldinnen aus einer vornehmen Komödie vor, die eine blond und die andere dunkelhaarig.

»Vielleicht früher einmal«, antwortete Mrs Jones, die diese Frage belustigte.

Mary hatte noch nie solche Antiquitäten aus nächster Nähe gesehen. Miss Maria Roberts war so dünn wie eine Bohnenstange, und ihr Gesicht sah aus wie eine eingelegte Walnuss. Sie trug ein Wickelkleid mit orangefarbener Spitze. Ihre Schwester, Miss Elizabeth, kam in fleckigen französischen Pantoletten herausgeschlurft, um sie zu empfangen. Ein grünseidenes Sackkleid hing ihr schlaff von den Schultern. Es war zwar alt, aber sorgfältig gearbeitet. Mary starrte es an und dachte: Ich würde darin den Leuten den Kopf verdrehen.

Ein flehentlicher Blick ihrer Herrin erinnerte sie an ihre Höflichkeitsbezeugung. Sie machte einen tiefen Knicks. Alles, was sie zu tun hatte, war, Stücke zu halten, zuzubinden, auseinander- und wieder zusammenzufalten und dabei einen zutiefst respektvollen Eindruck zu machen. Für die Überzeugungsarbeit war Mrs Jones zuständig. Schmeicheleien flatterten hoch und schwängerten die Luft wie Weihrauch. »Für einen Winterball? Wie entzückend!



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