Das politische System der Bundesrepublik Deutschland by Schmidt Manfred G
Autor:Schmidt, Manfred G.
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2014-12-29T05:00:00+00:00
V. Die Exekutive
1. Ein parlamentarisches Regierungssystem mit schwachem Präsidenten und starkem Kanzler
Der Regierungsform nach hat Deutschland ein parlamentarisches Regierungssystem – wie Großbritannien oder Schweden. Ein parlamentarisches Regierungssystem unterscheidet sich vom Präsidentialismus durch die Abberufbarkeit der Regierung während der Legislaturperiode durch das Parlament – hierzulande auf dem Wege des konstruktiven Misstrauensvotums – und durch eine zweiköpfige Exekutive anstelle einer einköpfigen. An der Spitze der Exekutive in Deutschland stehen der Bundeskanzler als Regierungschef und der Bundespräsident als Staatsoberhaupt. Im Präsidentialismus hingegen, wie in den USA, ist der Präsident zugleich Regierungschef und Staatsoberhaupt.
Im Unterschied zum Reichspräsidenten der Weimarer Republik wird der Bundespräsident nicht vom Volk direkt gewählt und im Unterschied zum US-Präsidenten nicht von einem Wahlmännerkollegium gekürt, sondern von der Bundesversammlung. Diese besteht aus den Bundestagsabgeordneten und einer gleichen Anzahl von Vertretern der Landtage. Das unterstreicht die Wirkungskraft des Föderalismus und die paritätische Machtverteilung zwischen Bund und Ländern: beide sollen an der Wahl des Staatsoberhauptes gleichberechtigt beteiligt sein. Zugleich versinnbildlicht die Bundespräsidentenwahl durch die Bundesversammlung die Absage an plebiszitäre Arrangements. Von denen befürchtete man in Deutschland mehr als anderswo, sie wirkten als «Prämie für Demagogen», so Theodor Heuss, sein erster Bundespräsident.
Auch der verfassungspolitische Spielraum des Bundespräsidenten ist normalerweise gering. Im Wesentlichen ist der Bundespräsident der oberste Repräsentant und der «Staatsnotar» der Bundesrepublik, der oberste Urkundsbeamte, der die Gesetze ausfertigt, dem Bundestag den Kanzler zur Wahl vorschlägt, den Gewählten zum Bundeskanzler bestimmt und Minister auf Vorschlag ernennt. Im Spiel der politischen Kräfte ist der Bundespräsident normalerweise ein schwacher Präsident – davon zeugt beispielsweise der Vergleich mit dem einflussreichen Reichspräsidenten der Weimarer Republik, dem mächtigen Präsidenten der USA und dem französischen Staatspräsidenten, dessen großer Wirkungsradius Frankreich zum Fall des «Semiprasidentialismus» werden ließ, einer Mixtur aus parlamentarischem und präsidentiellem Regierungssystem. Der Bundespräsident hat weder den Oberbefehl über die Streitkräfte noch besitzt er nennenswerte Gestaltungsmacht in der Außenpolitik. Auch stehen ihm weder die Diktatorialgewalt noch ein Notverordnungsrecht zu – im Unterschied zum Weimarer Reichspräsidenten. Nur unter besonderen Umständen wirkt der Bundespräsident als «Reservegewalt» (Theodor Eschenburg) – wenn Exekutive und Legislative nicht auf die verfassungsmäßig vorgesehene Weise funktionieren, beispielsweise bei der dritten Stufe der Wahl des Bundeskanzlers, einer fehlgeschlagenen Vertrauensfrage des Kanzlers wie im Jahre 2005 oder beim Gesetzgebungsnotstand nach Artikel 81 Grundgesetz. Ansonsten liegt die politische Bedeutung des Amtes des Bundespräsidenten hauptsächlich in repräsentativen und stilgebenden Funktionen und in der Chance, mit Worten Taten zu schaffen – Sprachmächtigkeit und Anerkennung vorausgesetzt.
Deutschland hat ein parlamentarisches Regierungssystem der republikanischen Form – also ohne Monarchen, aber mit Kanzlerdominanz, nicht mit Parlaments- oder Präsidialdominanz. Sein Zentrum liegt im Zusammenspiel von Parlament, Opposition und Regierung, die von einem nach der Verfassung starken Regierungschef, dem Bundeskanzler, geführt wird. Deutschland ist mit einer erstaunlich kleinen Zahl von Regierungschefs ausgekommen – ein Zeichen hoher politischer Stabilität. Bis zur 16. Wahlperiode waren es acht an der Zahl: Konrad Adenauer (CDU) 1949–1963, Ludwig Erhard (CDU) 1963–1966, Kurt Georg Kiesinger (CDU) 1966–1969, Willy Brandt (SPD) 1969–1974, Helmut Schmidt (SPD) 1974–1982, Helmut Kohl (CDU) 1982–1998, Gerhard Schröder (SPD) (1998–2005) und Angela Merkel (seit 2005).
Deutschlands Kanzler verkörpern Persönlichkeiten unterschiedlichster Herkunft und Regierungsstile.
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