Das kalte Land by Brigitte Blobel
Autor:Brigitte Blobel [Blobel, Brigitte]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 978-3-95751-124-9
Herausgeber: hockebooks gmbh
veröffentlicht: 2016-03-02T00:00:00+00:00
20
Leonie will es nicht glauben. Etwas wie dieses kann unmöglich geschehen. Nicht hier. Nicht mit ihrer Tochter. Nicht nach allem, was sie für diese Ehe, für diese Familie getan hat.
»Sie kommt wieder«, sagt sie zu Hauke, der mit dem Ausdruck einer melancholischen Bulldogge vor ihr steht. »Das war nur SpaÃ. Vielleicht wollte sie dich erschrecken.«
»Wenn das ihr Plan war«, sagt Hauke, »dann ist er ihr gelungen.«
Seine Kiefer schmerzen, weil er während der halben Stunde, die er um das Polizeirevier gekurvt ist, die Zähne so krampfhaft aufeinandergebissen hat. Er spürt die Amalgamfüllungen in den Backenzähnen. Und auf seiner Zunge den sauren, pelzigen Belag. Er hasst sich. Er hasst sich wie einen Kadaver, den man am liebsten in den Graben stoÃen und mit nasser Erde bedecken würde. Besser noch mit einer Schicht Kalk, das beschleunigt die Verwesung.
Leonie geht zum Fenster. Von dort weiter zur Tür. Sie öffnet die Tür, tritt auf die Gehplatten und starrt die StraÃe entlang bis hinunter zur NorderstraÃe. Sie sieht die Biegungen hinter dem Haus von Petersen, sieht ein Stück Asphalt zwischen den Pappeln auf der StraÃe nach Roikier. Sie kann eine Weile den Feldweg verfolgen, der das Jagdrevier von Martensen begrenzt. Nicht ein Hase ist zu sehen. Keine Habichte in der Luft. Kein Kind mit dem Fahrrad. Nicht einmal ein Traktor auf dem Feld. Die Landschaft ist so leer, als seien die Menschen evakuiert. Es ist windstill auf einmal. Gerade, aufrecht stehen die schmalen langen Sichelblätter des Winterweizens. Ãber dem Bismarckturm schlappt die Fahne im Wind.
»Es ist mir ein Rätsel«, sagt Hauke, der hinter sie getreten ist, »wie sie auf einmal so völlig von der Erdoberfläche verschwinden kann. Sie hatte doch ihr Fahrrad.«
Leonie dreht sich um. Ihre Augen sind plötzlich kalt vor Hass. »Wenn so etwas für einen Polizisten schon ein Rätsel ist«, sagt sie, »dann kann man ja gleich alle Hoffnung aufgeben.«
Er fasst ihren Ellenbogen besänftigend. Aber sie schüttelt ihn ab.
»Annkatrin kommt zurück. Sicher. Warum sollte sie abhauen? Warum?«
»Das eben frage ich mich«, sagt Hauke.
»Was hast du von ihr gewollt?«
»Auskünfte. Einfach nur ein paar harmlose Auskünfte.«
Hauke weiÃ, dass er Leonie belügt, und er hasst sich dafür. Aber Leonie glaubt ihm sowieso nicht.
»Was genau?« Sie dringt in ihn. Sie lässt sich jetzt nicht mehr abwimmeln. Etwas hat sich verändert in ihrer Beziehung. Leonie kämpft. Immer haben ihre Knie gezittert, wenn sie Hauke Lorenzens Auto kommen sah. In einer unerklärlichen Panik. Ihre Kehle war wie zugeschnürt, wenn er lächelnd »Moin, moin« sagte und sie nichts herausbringen konnte. Als habe sie immer auf diesen Tag gewartet. Als habe sie immer geahnt, dass so etwas kommen wird. So etwas Sinnloses. Unverständliches.
Ihre Tochter fährt mit dem Fahrrad zur Wache, um ein paar harmlose Fragen zu beantworten, und flüchtet durch das Klofenster. Nimmt ihr Fahrrad und türmt. Und ist nach ein paar Minuten wie vom Erdboden verschwunden!
Es können keine harmlosen Fragen gewesen sein. Wegen harmloser Fragen macht ein fünfzehnjähriges Kind nicht solche Sachen. Und ein Scherz ist es auch nicht. Das passt nicht zu Annkatrin.
»Was genau?«, wiederholt Leonie.
Hauke geht den Weg zum Gartentor und blickt auf die StraÃe in Richtung Grundhof.
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