Das grosse Schweigen by Katja Montejano

Das grosse Schweigen by Katja Montejano

Autor:Katja Montejano [Montejano, Katja]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783863588489
Herausgeber: Emons Verlag
veröffentlicht: 2015-07-30T16:00:00+00:00


15

Es war bereits einundzwanzig Uhr dreissig, als Primrose und Luc das Gebäude der psychiatrischen Klinik fast erreicht hatten. Die wenigen Chalets schienen ebenso gottverlassen zu sein wie der Rest. Der Weg zum Schwarzwaldalpinstitut führte durch einen Gürtel schütteren Nadelwalds.

Sie stiegen aus und blieben vor dem Tor stehen. Die Luft hier oben war im Vergleich zur Stadt kühl und voller Sauerstoff.

Primrose atmete tief durch.

«Fast hätte ich es vergessen: Bevor wir da reingehen, muss ich dir noch ein paar Dinge über den Professor erzählen.»

«Ich bin ganz Ohr.»

«Rolf ist Anfang sechzig. Ich glaube, dass mein Pa der einzige Freund ist, den Rolf überhaupt noch hat.»

«Und weshalb?»

«Der Professor arbeitet nebenbei als Gerichtsgutachter und Wissenschaftler. Er unterrichtet stundenweise an der Universität in Fribourg und führt seit Jahren psychiatrische Studien durch.»

«Ich habe noch nie etwas von ihm gehört. Ein viel beschäftigter Mann, wie dein Vater. Komisch, dass Birrers Nummer in den Anrufprotokollen deines Vaters im bisher ausgewerteten Zeitraum der letzten zwei Monate nicht aufgelistet ist. Was muss ich noch über ihn wissen?»

«Na ja, es gibt nicht viel Interessantes im Leben dieses Mannes. Vater und er sind seit über fünfzehn Jahren befreundet, obwohl sie sich nur sporadisch sehen. Möglicherweise ist das das Geheimrezept einer wahren, lang anhaltenden Freundschaft. Wenn man sich selten sieht, hat man sich einiges zu erzählen. Rolf kennt kein Privatleben. In diesem Punkt unterscheiden sich mein Vater und er. Der Professor lebt seit Jahren für die dunkle und noch unerforschte Seite der menschlichen Psyche. Und weisst du, was ihm das bis heute eingebracht hat?»

«Keine Ahnung. Was?»

«Geld, das er aus Zeitmangel nicht ausgeben kann. Zwei Ex-Frauen, ein Kind, das ihn abgrundtief hasst, ein Haus, das er selten sieht, weil er immer arbeitet oder unterwegs ist, eine Tonne Übergewicht und als Pünktchen auf dem i ein Tablettenproblem.»

«Tatsächlich?»

«Ein bekanntes Szenario unter Ärzten, nicht wahr? Um das riesige Arbeitspensum bewältigen zu können, brauchen sie stimulierende Substanzen, und um überhaupt noch ein Auge zudrücken zu können, werfen sie sich Schlafpillen rein. Selbstzerstörerisch. Na ja, lassen wir das. Rolf hatte vor einem Jahr einen Herzinfarkt, den er einfach ignoriert hat. An seinem Lebensstil änderte er nichts. Ich mag ihn nicht besonders. Er ist ein Zyniker, oft gereizt, und sein Umgangston hängt von seiner Tagesstimmung ab. Aus diesem Grund können sich die Strauss-Zwillinge und er nicht ausstehen. Besonders Helen, die mit ihren Mitmenschen ebenfalls nicht gerade zimperlich umgeht. Verdammt! Ist diese Klingel kaputt? Warum dauert das so lange?», fauchte Primrose und drückte ununterbrochen auf den Schalter.

Im nächsten Moment erklang eine Frauenstimme aus der Gegensprechanlage: «Ja?»

«Guten Abend, mein Name ist Primrose Bouillé. Luc Merz und ich sind bei Professor Birrer angemeldet. Würden Sie uns bitte das Tor öffnen?»

«Natürlich. Bitte, kommen Sie herein.» Daraufhin öffnete sich das automatische Stahltor. Es war, als hätte sich soeben die Tür in eine andere Dimension geöffnet.

Primrose beschlich ein ungutes Gefühl. Sie blickte sich im beleuchteten Park um. Es war eine ungewohnte und unheimliche Mischung aus Stimmengewirr, Schreien, Weinen und Gelächter. Ein grosser, gepflegter Rasen mit alten, verkrüppelten Obstbäumen hier und da. Geharkte Kieswege und solide Bänke. An der Mauer ein paar kleine Triebgewächse.



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