Das goldene Meer by Heinz G. Konsalik
Autor:Heinz G. Konsalik [Konsalik, Heinz G.]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2010-09-28T04:00:00+00:00
Xuong hatte es sehr eilig, in den Lagerraum und zu Uts drei Kinder zu kommen. Was sie ihm berichtet hatte, gebot schnelles Handeln. Le Quang Hung, den Dolmetscher, sah er nicht auf Deck und auch nicht bei der Küchenbaracke, wo sonst sein bevorzugter Platz war. Da saß er den größten Teil des Tages über im Schatten eines Sonnensegels, hörte sich die Klagen an, die man ihm vortrug und schlichtete wie ein weiser Richter die Streitigkeiten, die unvermeidbar waren. – Wenn fast 200 Menschen eng beieinander leben, fast Rücken an Rücken, gibt es Reibungen, flackert grundlose Feindschaft auf, kann ein einziges Wort zum Haß führen, blühen Mißgunst und Neid auf, beobachtet man genau, ob der andere mehr auf seinem Plastikteller hat als man selbst. Und um Beschwerden anzunehmen und weiterzugeben an die weißen Ärzte, war Hung die einzige Instanz. Was er selbst nicht regeln konnte, trug er Dr. Herbergh vor. Mit Dr. Starke sprach er über solche Dinge nicht, nachdem Starke ihm einmal gesagt hatte: »Hung, tritt sie in den Arsch! Wir haben sie nicht gerettet, damit sie sich jetzt gegenseitig die Schädel einschlagen.« Hung fand, daß dies keine Hilfe in seinem täglichen Kampf mit menschlichen Problemen sei, und berichtete nur noch Dr. Herbergh. Der brachte die Geduld auf, ihm zuzuhören und schüttelte nur den Kopf, wenn Hung berichtete, daß Fischer aus zwei nebeneinanderliegenden Dörfern sich bis zur Ekstase beschimpften, weil jeder behauptete, sein Dorf sei das schönere. Daß sie nichts mehr besaßen als die Fetzen auf ihrer Haut, eine Plastikschüssel fürs Essen, Plastiksandalen und ein Handtuch aus den Schiffsbeständen, selbst die Decke, auf der sie schliefen und die ihren kleinen Lebensraum bildete, würden sie auf dem Schiff lassen müssen, wenn ein anderes Land sie aufnähme, das alles vergaßen sie, wenn es darum ging, miteinander zu streiten.
Nun aber saß Hung nicht unter dem Sonnensegel, und Xuong rannte über das Deck in der Angst, vielleicht schon zu spät zu kommen.
Auf der Treppe zu den Lagerräumen überraschte ihn der Alarm. Sofort wälzte sich eine Woge von Menschen ihm entgegen und drängte nach oben. Xuong preßte sich gegen die Wand, ließ die Aufgeregten an sich vorbeistürmen und hörte von oben den lauten Aufschrei: »Das ist Truc! Betet! Betet!«
Xuong rannte weiter, obwohl sich seine Nackenhaare sträubten. Wie ein Kälteschauer überlief es ihn. Truc war in ihre Nähe gekommen, die Leib gewordene Vernichtung, das lebende Grauen. Von oben, vom Deck, hörte er ein vielstimmiges Schreien und Klagen, ein Signal, auf das hin nun auch die unter Deck gebliebenen Frauen zu weinen und zu jammern begannen und ihre Kinder an sich drückten.
Mit pfeifendem Atem erreichte Xuong das Lager. Zwischen von Wand zu Wand gespannten Leinen, an denen die Wäsche trocknete, zwischen Näpfen, Schüsseln, Plastikeimern, Bambusmatten und Decken entdeckte er im trüben Licht der von der Decke baumelnden Glühlampen in einer Ecke Uts Kinder. Sie waren wie junge Hunde zusammengekrochen, bildeten ein Knäuel auf den Holzplatten, und schienen an Wand und Boden zu kleben.
»Steht auf!« sagte Hung gerade und bückte sich, um das älteste Kind, einen Jungen, hochzureißen. Der Junge reagierte wie eine in die Enge getriebene Schlange, er biß blitzschnell zu.
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