Das gefrorene Licht. Island-Krimi by Yrsa Sigurðardóttir

Das gefrorene Licht. Island-Krimi by Yrsa Sigurðardóttir

Autor:Yrsa Sigurðardóttir
Die sprache: de
Format: mobi
Tags: Roman
ISBN: 9783104008370
Herausgeber: Fischer E-Books
veröffentlicht: 2011-09-29T22:00:00+00:00


20 . KAPITEL

MONTAG, 12.JUNI 2006

Dóra wanderte auf dem Parkplatz umher und versuchte, Empfang zu bekommen. Matthias beobachtete sie verwundert. »Warum benutzt du nicht das Telefon im Zimmer?«, fragte er und schüttelte sich vor Kälte. Es war ziemlich diesig, und Dóra war sich nicht sicher, ob sie mitten in einer Nebelbank standen oder ob es schlichtweg stark bewölkt war. Am vorherigen Abend hatte sie vergeblich versucht, ihren Sohn Gylfi zu erreichen. Nun wollte sie den Tag damit beginnen, ihn und den Wohnwagen ausfindig zu machen. Der Junge hatte zwar schon Fahrstunden absolviert, aber noch keinen Führerschein. Dóra machte sich große Sorgen, dass etwas passiert sein könnte, andererseits hätte sie nicht gewusst, wo sie die Kinder mitten in der Nacht suchen sollte. Und mit der Polizei hatte sie ohnehin schon zu tun. Die Kurznachrichten in ihrem Handy hatten ein gutes Bild von der Vorgeschichte vermittelt. Die ersten drei waren von Gylfi. In der Ersten äußerte er seine Unzufriedenheit darüber, nicht wie geplant nach Hause fahren zu können, in der Zweiten, dass er bei seinem Vater durchdrehen würde, und in der Dritten stand nur: Eye of the Tiger – ich bin weg. Anschließend waren mehrere SMS von ihrem Ex-Mann eingegangen, in denen dieser schrieb, Gylfi sei unerzogen und unbelehrbar und es sei alles Dóras Schuld. Dóra löschte die Mitteilungen. Gylfi war in der Regel eher zurückhaltend, ein fleißiger Schüler und weit entfernt von dem Flegel, den sein Vater schilderte. Aber er war jung und stand sich manchmal selbst im Weg, beispielsweise, wenn man ihn zwang, den lächerlichen Gesang seines Vaters zu ertragen. Eye of the Tiger war offensichtlich der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Dóra konnte sich nicht entsinnen, dass ihr Sohn jemals mit Begeisterung zu seinem Vater gefahren wäre – ob Sóleys Spielecomputer samt Sing Star nun mitgenommen wurde oder nicht. Nach der Trennung hatte Hannes eine pferdebegeisterte Frau kennengelernt und daraufhin ebenfalls diesen Fimmel bekommen. Weder Gylfi noch Sóley teilten sein Hobby. Zu allem Überfluss hatte Gylfi von seiner Mutter die Angst vor Pferden geerbt. Er fühlte sich bei seinem Vater nie wohl, denn jederzeit drohte ein Ausritt. Hannes konnte das nicht verstehen, wie sehr Dóra auch versuchte, ihm die Situation zu erklären. Er sagte immer nur, der Junge würde sich »schon noch entwickeln«.

Dóra überlegte, ob sie die Eltern von Gylfis Freundin anrufen sollte, schob den Gedanken aber sofort wieder beiseite. Anscheinend hatte Gylfi Sigga im Wohnwagen mitgenommen. Dóra hatte ebenfalls eine SMS von der Mutter des Mädchens erhalten und wollte sich deren Kraftausdrücke nicht noch einmal ins Gedächtnis rufen. Obwohl sie verstehen konnte, dass die Frau aufgebracht war. Dóra wäre auch nicht begeistert, wenn Sóley mit sechzehn und hochschwanger mit einem nicht viel älteren Jungen in einem Jeep mit Wohnwagen abgehauen wäre. Sie war froh, dass Siggas Eltern nicht wussten, dass Gylfi noch gar keinen Führerschein besaß.

Endlich wurde abgenommen. Gylfis schläfrige Stimme drang durch die Leitung. »Hallo?«

»Wo bist du?«, blaffte Dóra, obwohl sie sich vorgenommen hatte, Ruhe zu bewahren.

»Was? Ich?«, fragte Gylfi wie ein Idiot.

»Ja, natürlich du.



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