Das endlose Leben by Andreas Kollender

Das endlose Leben by Andreas Kollender

Autor:Andreas Kollender
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: PENDRAGON Verlag
veröffentlicht: 2019-02-27T00:00:00+00:00


13

Der Todfreund

Der alte Theo Mannlicher saß im Kerzenschein auf der Terrasse, neben sich einen Wassereimer mit gekühltem Bintang-Bier, und sah ein Foto an, das seine Frau Maria Venca vor der Festung von Funchal zeigte. Einer der wenigen windstillen Tage am Meer, denn Mary trug das Haar offen, und es fiel ihr in zwei schwarzen Kaskaden auf die Brüste. Theo sah über den Rand des Bildes hinweg.

Wie jeden Abend waren zum Sonnenuntergang die Bewohner des benachbarten Hüttendorfes am Strand erschienen, die ziehenden Händler hatten sich auf ihre Bündel gesetzt, und das gesamte Personal der Bungalowsiedlung hatte sich am Gartentor versammelt, um die Sonne versinken zu sehen. Vor einigen Abenden hatte sich ein Junge namens Wayan, ein Erstgeborener, zu Theo in den Sand gesetzt und ihm erzählt, er sehe sich, seit er lebe, jeden Sonnenuntergang an, und er kenne hier niemanden, der das nicht ebenfalls tue. Er wohne mit drei Brüdern und vier Schwestern und seinen Eltern in einer der Hütten im Palmenwald und sei noch nie aus der Bucht fort gewesen. Er fahre Touristen mit dem Boot hinaus, Delphine gucken. Bali sei so schön. Aber er wolle auch einmal in diese Stadt Nu Jorcke. Ach Junge, hatte Theo gesagt, ich weiß nicht, ob Nu Jorcke das richtige wäre.

Im Laufe der Jahre nach ihrer Trennung hatten Theo und Mary sich wieder angefreundet. Mary hatte ein zweites Mal geheiratet, einen arbeitslosen Architekten, der sich als Bauarbeiter durchschlug und ein gebildeter, sportlicher Mann war. Für Mary entwarf er eine Kirche, die am einen Ende des Schiffes eine Kanzel und am anderen einen Basketballkorb hatte. Überall in der Wohnung der beiden hingen Skizzen zu dieser Kirche.

Mary beharrte darauf, überhaupt niemals so katholisch gewesen zu sein, wie Theo sie oft schilderte. Und sie hatte recht damit. Sie war nicht die typische Katholikin, sie ging lediglich ab und zu in eine Kirche und betete, sie sah sich ein Kruzifix an, wenn sie nachdachte, aber all das floss an ihr vorbei wie der Straßenverkehr in New York, es gehörte dazu, war nicht wegzudenken, war aber auch nicht wirklich wichtig. Und dass sie sich weder nackt malen noch fotografieren ließ, sei eine Frage des Naturells, nicht eine der Religion. Die zehn Gebote seien ihr Leitfaden, sie wisse ohne sie nicht zu leben, sie seien ein Geländer, eine Reling oder wie immer er das nennen mochte. Menschen unterdrückten sich durch die Kultur, und das sei gut so.

Mary erlag am 22. November 1963 völlig überraschend einem Herzschlag, während einer anderen attraktiven Frau im offenen Heck einer Limousine das von einem Schuss zerfetzte Hirn ihres Gatten in den Schoß fiel.

Theo sah in den Himmel, als eine Windbö rauschte. Der Mond hing voll und schwer über dem Meer und machte einen Streifen Wasser silbern und lag wie hauchdünner Schnee auf Palmblättern. Welch eine Bucht. Literatur war auch dazu da, solch einen Platz zu besingen, selbst 1999 noch. Mary hätte gesagt, man müsse der Bucht eine tragische Struktur geben, Charlotte hätte gesagt: „Mach einfach, Theo, die Bucht ist wunderbar. Lässig dahingeworfene Schönheit unter Wind, so etwas gibt es halt, und das ist ja auch gut so.



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