Das bunte Band des Lebens. Die märkische Heimat und der Neubeginn im Kupferhaus by Clara von Arnim & Bettina von Arnim
Autor:Clara von Arnim & Bettina von Arnim [Arnim, Clara von & Arnim, Bettina von]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783105614945
Herausgeber: FISCHER Digital
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
Ende Oktober kam «Onkel Hans-Karl», der Bruder der Mutter, für einige Zeit zu uns ins Blockhaus. Er sei Kriegsheimkehrer, hieß es bedeutungsvoll, mehr wurde uns Kindern nicht darüber gesagt. Eine längliche, weiße Narbe zwischen kurzen, grauen Haaren hielten wir für eine schwere Kriegsverletzung am Kopf und erklärten uns daraus auch des Onkels abgehackte Sprechweise. Die Frauen begrüßten es, daß endlich wieder ein Mann im Hause war. Die Mutter veranlaßte ihren Bruder, sich des Problems anzunehmen, daß ausgerechnet das einzige Mädchen so schrie. Das sei doch häßlich und würde nur den kleinen Bürschli anstecken, dem Kind fehle der Vater, eine männlich durchgreifende Hand sei durchaus angebracht.
Meine Ängste vor Krieg und Tieffliegern brachen unversehens aus und damit auch das Schreien. War es wieder soweit, griff sich der Onkel das Stück Kind, hieb es durch, windelweich, bis es nur noch wimmerte, um in der Nacht um so lauter aufzuschreien.
Schlimmer noch, des Onkels eingreifende Art verhinderte, daß ich meinen gewohnten, schönen Schulweg gehen durfte, ja, daß ich überhaupt zur Schule und zu der netten Lehrerin gelangen konnte. Die Mutter hatte mir am Morgen gerade rote Schleifen am Kopf angebracht. Ansonsten war ich noch nicht fertig angezogen, über die Unterhose war nur ein blauverblichenes Schürzchen gebunden. Da ergriff der Onkel meinen Schulranzen und ging damit hinaus. Oh, mein kostbarer Ranzen! Ich lief hinterher. Der Onkel stand groß mit dem kleinen Ranzen vor dem Haus. «Ich will meinen Ranzen haben!» – «Kind mit ’nem Willen kriegt eins auf die Brillen!» Der Onkel schlug kräftig auf die Unterhose ein. Schließlich hielt er inne: Da hätte ich meinen Schulranzen, sagte er, das aber nur, wenn ich einen anderen Schulweg ginge. Er wolle mir eine Abkürzung zeigen. Ich nahm schnell meinen Ranzen und lief zum Hang, Richtung Tommelhardt. Mit drei Sätzen war der Onkel hinterher und prügelte drauflos. Es gab kein Entkommen mehr, am Neumühlbach war der Weg naß und matschig, ich fiel hin, Schürze und Unterhose wurden dreckig. Der Onkel hatte einen Stock genommen, er wolle sich die Hände nicht schmutzig machen. Der Schulranzen war ein guter Schutz gegen die ärgsten Hiebe.
Abrupt hörte der Onkel zu schlagen auf, keuchte, lächelte, packte mich an der Hand und zog das schmutzige Bündel in Richtung der Abkürzung. Das war eine Teerstraße, links vom Neumühlsee nach Obermühle. Auf dieser Straße angekommen, wies der Onkel soldatisch-knapp in Marschrichtung. Dann kehrte er um. Ich ging auf der schrecklichen Straße weiter, denn wäre ich gleich in den Wald gelaufen, hätte mich der Onkel gewiß wieder in drei Sprüngen eingeholt. Er sah sich jedoch nicht mehr um. Seine Pflicht war getan, wahrscheinlich strebte er dem verpaßten Frühstück entgegen. Hinter einer Straßenbiegung war der Onkel verschwunden. Da dröhnte aus der Richtung dumpfes Rattern wie von einem Panzer. Auf der Flucht, auf solchen Straßen rollten Panzer, gleich würden auch Flugzeuge darüberdonnern, schnell in den Wald, in Deckung gehen! Das Fahrzeug kam näher, hielt an, Benzingeruch von Panzern. Starr vor Angst hinter einen Baum geduckt, hoffte ich, unsichtbar zu sein. Aber wie nur die roten, abstehenden Schleifen verstecken, ohne
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