Das Wesen des Christentums by Ludwig Feuerbach

Das Wesen des Christentums by Ludwig Feuerbach

Autor:Ludwig Feuerbach [Feuerbach, Ludwig]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Zeno.org
veröffentlicht: 2015-06-28T22:00:00+00:00


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Wie Gott nichts andres ist als das Wesen des Men schen, gereinigt von dem, was dem menschlichen Individuum, sei es nun im Gefühl oder Denken, als Schranke, als Übel erscheint: so ist das Jenseits nichts andres als das Diesseits, befreit von dem, was als Schranke, als Übel erscheint. So bestimmt und deutlich die Schranke als Schranke, das Übel als Übel von dem Individuum gewußt wird, ebenso bestimmt und deutlich wird von ihm das Jenseits, wo diese Schranken wegfallen, gewußt. Das Jenseits ist das Gefühl, die Vorstellung der Freiheit von den Schranken, die hier das Selbstgefühl, die Existenz des Individuums beeinträchtigen. Der Gang der Religion unterscheidet sich nur dadurch von dem Gang des natürlichen oder vernünftigen Menschen, daß sie den Weg, welchen dieser in der geraden als der kürzesten Linie macht, in einer krummen, und zwar der Kreislinie beschreibt. Der natürliche Mensch bleibt in seiner Heimat, weil es ihm hier wohlgefällt, weil er vollkommen befriedigt ist; die Religion, die in einer Unzufriedenheit,[283] einer Zwietracht anhebt, verläßt die Heimat, geht in die Ferne, aber nur, um in der Entfernung das Glück der Heimat um so lebhafter zu empfinden. Der Mensch trennt sich in der Religion von sich selbst, aber nur, um immer wieder auf denselben Punkt zurückzukommen, von dem er ausgelaufen. Der Mensch verneint sich, aber nur, um sich wieder zu setzen, und zwar jetzt in verherrlichter Gestalt. So verwirft er auch das Diesseits, aber nur, um am Ende es als Jenseits wieder zusetzen.147 Das verlorne aber wiedergefundne und in der Freude des Wiedersehens um so heller strahlende Diesseits ist das Jenseits. Der religiöse Mensch gibt die Freuden dieser Welt auf; aber nur, um dafür die himmlischen Freuden zu gewinnen, oder vielmehr, er gibt sie deswegen auf, weil er schon in dem wenigstens geistigen Besitze der himmlischen Freuden ist. Und die himmlischen Freuden sind dieselben, wie hier, nur befreit von den Schranken und Widerwärtigkeiten dieses Lebens. Die Religion kommt so, aber auf einem Umweg, zu dem Ziele, dem Ziele der Freude, worauf der natürliche Mensch in gerader Linie zueilt. Das Wesen im Bilde ist das Wesen der Religion. Die Religion opfert die Sache dem Bilde auf. Das Jenseits ist das Diesseits im Spiegel der Phantasie – das bezaubernde Bild, im Sinne der Religion das Urbild des Diesseits: dieses wirkliche Leben nur ein Schein, ein Schimmer jenes geistigen, bildlichen Lebens. Das Jenseits ist das im Bilde angeschaute, von aller groben Materie gereinigte – verschönerte Diesseits.[284] Die Verschönerung, die Verbesserung setzt einen Tadel, ein Mißfallen voraus. Aber das Mißfallen ist nur ein oberflächliches. Ich spreche der Sache nicht Wert ab; nur so, wie sie ist, gefällt sie mir nicht; ich verwerfe nur die Beschaffenheiten, nicht das Wesen, sonst würde ich auf Vertilgung dringen. Ein Haus, das mir durchaus mißfällt, lasse ich abtragen, aber nicht verschönern. Der Glaube an das Jenseits gibt die Welt auf, aber nicht ihr Wesen; nur so, wie sie ist, gefällt sie nicht. Die Freude gefällt dem Jenseitsgläubigen – wer sollte die Freude nicht als etwas Wahres, Wesentliches empfinden?



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