Das Vermächtnis der Seherin: Roman by Christoph Lode

Das Vermächtnis der Seherin: Roman by Christoph Lode

Autor:Christoph Lode [Lode, Christoph]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fiction, Historical
ISBN: 3442203279
Google: RnGd8N5V0TMC
Herausgeber: Page & Turner
veröffentlicht: 2014-12-28T00:00:00+00:00


Es war das Alef, der erste Buchstabe des Alphabets, die Zahl eins, und es befand sich genau über Oyands Schädel, sodass der Blick seiner toten Augen für alle Ewigkeit darauf ruhte.

DREIZEHN

Madora schlief bis zum späten Vormittag. Was auch immer sie getan hatte, um die Bettler zu vertreiben, es hatte sie so viel Kraft gekostet, dass sie kaum in der Lage gewesen war, ohne Jarosławs Hilfe zur Stadt zurückzugehen. Mit jener seltsamen Fürsorglichkeit, die Rahel ihm anfangs nie zugetraut hätte, hatte der Polane den Arm um sie gelegt und sie zum Miflat gebracht, wo sie alsbald erschöpft einschlief. Sie erwachte erst kurz vor Mittag. Rahel fand sie nicht in ihrem Lager im Keller, sondern im Erdgeschoss des Hauses. Es war ein klarer Wintertag, und durch die beiden Fenster fielen die Sonnenstrahlen, strichen über die gesplitterte Tischplatte und die verschlungenen Intarsien unter dem Staub. Im Kamin brannte kein Feuer. Madora schien die Kälte nichts auszumachen. In eine Decke gehüllt kauerte die Seherin vor dem gewaltigen Wandbild des Lebensbaumes, auf den Knien lagen ihre Aufzeichnungen.

Rahel setzte sich neben sie und gab ihr einen Becher heißen Würzwein. »Hier. Von Jarosław.«

Madora legte die Pergamente weg und nahm den Becher in beide Hände. Dann kehrte ihr Blick zu dem Wandbild zurück.

Rahel sah sich die Aufzeichnungen an. In die Mitte der beiden obersten Blätter hatte Madora die Steinmetzzeichen geschrieben, die sie gefunden hatten, Gimel und Alef. Der freie Platz war dicht mit Anmerkungen in ihrer kleinen, gestochenen Handschrift bedeckt. Rahel verstand kaum etwas davon. Sie sah zu dem Lebensbaum auf, von dem es eine Kopie in ihrem Elternhaus gegeben hatte, ein Mosaik. Er bestand aus zehn Kreisen, den Sephirot, zehn Urziffern, die ein unübersichtliches, aber regelmäßiges Liniendickicht miteinander verband. Vier Sephirot waren an der Mittelachse aufgereiht, drei weitere jeweils links und rechts davon, und jede Linie trug Zweige und Blätter aus Buchstaben, sodass das Gebilde in der Tat an einen Baum erinnerte. Madora hatte vergeblich versucht, ihr seine Bedeutung zu erklären. Schäm dich nicht dafür, hatte sie gesagt. Man braucht ein ganzes Leben, um die Sephirot zu studieren. Vielleicht auch mehr als eines.

»Die Steinmetzzeichen«, sagte Rahel, »haben sie etwas mit diesem Bild zu tun, mit dem Lebensbaum?«

»Die Sephirot enthalten jeden Buchstaben und jede Zahl«, antwortete Madora. »Und jede Zahl enthält auf ihre Weise die Sephirot. Also lautet die Antwort auf deine Frage: Ja, sie haben etwas damit zu tun. Aber ich nehme an, das ist nicht das, was du hören wolltest.«

Sie weiß so wenig wie ich, was die Zeichen bedeuten, dachte sie. »Brendan glaubt, dass sie ein Schlüssel sind. Für ein chiffriertes Schriftstück.«

Madora warf ihr einen Seitenblick zu, in dem leichter Ärger lag. »Und weiß Brendan auch, welches Schriftstück das sein könnte?«

»Nein.«

Die Seherin schaute noch einmal zu dem Wandbild auf, aber die angespannte Konzentration war aus ihrem Gesicht verschwunden. Ihre Stimme wurde weicher. »Was wir hier haben, ist kein gewöhnliches Rätsel. Es ist der Schlüssel zum größten Geheimnis des Bundes. Es wäre dumm zu glauben, wir könnten es in ein paar Tagen verstehen.« Der Grübelei überdrüssig, brachte sie sich in eine bequemere Sitzhaltung und trank von ihrem Wein.



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