Das Trauerhaus: Eine Novelle by Franz Werfel
Autor:Franz Werfel [Werfel, Franz]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fiction, General
ISBN: 9783743720350
Google: gn84DwAAQBAJ
Herausgeber: Hofenberg
veröffentlicht: 2017-10-03T22:00:00+00:00
VI
Nun saß Ludmilla neben Oskar in der Küche, wo die Tische gedeckt waren.
Die Küche bedeutete das wahre Heiligtum dieses Hauses und sie war auch wirklich ein Prachtraum mit ihrem Kachelherd und den vier weißen wachstuchbespannten Tischen. Wer hierher eindringen durfte, der spielte nicht mehr die Rolle des Gastes, des Fremden, der Wurzen, der blieb in jeder Beziehung taxfrei, der gehörte zur Sippschaft, der teilte die Geheimnisse des weitverbreiteten Standes.
Die dämmrige Vier-Uhr-Stunde des Sommers war indessen angebrochen und die Zeit des großen Mahles gekommen. An Wichtigkeit wurde diese Vier-Uhr-Morgenstunde nur noch von der Sechs-Uhr-Abendstunde übertroffen, wenn die Damen darangingen, sich für das Geschäft zurechtzumachen, und der Figaro mit seiner Brennschere von einer zur andern eilte. Gemütlicher aber war's am Morgen, wenn man mit heißer Suppe allen Fusel und Nikotindunst hinunterspülte, sich dem Schlaf entgegenfreuend.
Vor jedem Platz standen zwei Teller übereinander auf dem Tisch, eine Serviette ruhte in ihrem Ring, und was es in den vornehmsten Etablissements nicht gab, silbernes Besteck strahlte neben dem Geschirr. Dieses silberne Besteck verpflichtete. Wer auch nur eine kurze Zeit damit gelöffelt und gegabelt hatte, war für alle Zukunft geadelt. Er konnte schwerlich mehr auf das Niveau von Napoleon zurücksinken. Viel häufiger führte der Weg empor.
Ludmilla hatte Oskar verziehn. Verziehn? ... was für ein großartiges Wort! Was hätte sie denn tun sollen, was blieb ihr übrig? Schmollen vielleicht, ihn sekkieren, sich die kurze Zeit verderben, die er bei ihr sein konnte?! Wenn er hinaus durchs Tor trat und mit zehn Schritten in der Eisengasse stand, war sie Luft für ihn, ärmer als die Ärmste, konnte ihm nicht drohen wie jedes andere Weib, ihn nicht beschenken, ihn nicht in Angst versetzen, hatte im Guten und Bösen nicht die leiseste Macht. Mußte er es nicht ablehnen – und mit voller Berechtigung –, wenn sie Ausgang hatte, gemeinsam mit ihr den Nachmittag zu verbringen? Sie sah das vollkommen ein. Durfte sie sich denn an seiner Seite zeigen, ohne den aufstrebenden Künstler zu kompromittieren? Sie wollte auch gar nicht mit ihm zusammen sein dort draußen, auf der Straße, in fremden Zimmern. Dies war der Grund, warum sie ihre Ausgangsrechte jetzt immer andern Mädchen abtrat.
Hier allein, hier in diesem Haus, in dieser Küche konnte er sie finden. Sie aber konnte ihn nirgends finden. War es nicht schon viel, daß er gekommen war? Wer zwang ihn denn überhaupt zu kommen? (Wenn er heiratet, die Seinige, die wird ihn schon zwingen!) Sie wußte nicht einmal seine Adresse, um ihm einen Brief zu schreiben. Nein, sie hat ihn niemals um die Adresse gebeten! Aber so ein Schweinehund, so ein Mann, bemerkt das gar nicht.
Jetzt war er da! Dankbar mußte sie sein, nichts als dankbar. Heiße Freude belebte sie, daß sie zwei Tage lang nicht unterlegen war, daß sie zwei Tage lang, hier in diesem Hause, allen Feinden trotzend, sich ihre Kraft und ihren Willen hatte beweisen können. Sie verschwieg ihren Kampf, denn Oskar hätte auch für diese Tapferkeit kein besonderes Interesse gezeigt.
Nun aber saß er neben ihr, nun galt ihr alles gleich und sie war selig, daß sie den Hungrigen füttern und ihm ihre Suppe hingeben durfte.
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