Das Tal der Issa by Czesław Miłosz

Das Tal der Issa by Czesław Miłosz

Autor:Czesław Miłosz [Miłosz, Czesław]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Suhrkamp, (C) 2002
veröffentlicht: 2014-05-14T04:00:00+00:00


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Thomas hatte sein Reich. Freilich, vorläufig nur auf dem Papier, aber er konnte alles darin einrichten und jeden Tag nach seiner Laune verändern. Den Einfall gaben lange Rollen Pauspapier, die der Großvater und Tante Helena (diese kam jetzt öfter angefahren) auf dem Tisch entrollten. Mit Wasserfarben waren darauf verschiedene Vierecke und Grenzlinien gemacht – Pläne des Grundbesitzes von Ginie. Helle, gleichmäßig angelegte Ebenen schienen durch das Papier.

Thomas’ Reich war absolut unzugänglich, von allen Seiten von Mooren umgeben, solchen wie jenes, wo die Schlangen mit rotem Kopf wohnten. Seine ganze Fläche sollten Wälder bedecken, jedoch besann er sich eines anderen, und er fügte ein bißchen helles Grün von Wiesen hinzu. Wege sind nicht notwendig, weil das kein Urwald ist, den ein Weg durchschneidet, also dienten für sie kommunikative Flüsse, untereinander durch blaue Streifen der Kanäle und Seen verbunden. Die von ihm speziell eingeladenen Leute würden dorthin gelangen, jawohl, denn er hatte geheime Übergänge in den Mooren angezeichnet. Alle Einwohner – nicht viele, das Land sollte vor allem der Bequemlichkeit der Tiere dienen, zum Beispiel den Auerochsen, den Elchen, den Bären – würden ausschließlich von der Jagd leben.

Schon brach die Herbstkühle an, und er hatte keinen Tisch; den, der sich in dem im Winter verschlossenen Teil des Hauses befand, hatte man in den Anbau zurückgenommen. An ihm fanden die verschiedenen Unterhaltungen und das Pläne studieren statt, wobei das Wort Reform immer wieder vorkam, und weil er vor Tante Helenas Ausfragerei, die ihre Nase überall hineinsteckte, Angst hatte, zog Thomas, sobald diese Gefahr nahte, mit seiner Karte und anderen Arbeiten zu dem Tischchen in Großmutter Dilbins Zimmer um. Diese störte ihn nicht, übrigens deshalb, weil sie meistens krank zu Bett lag. Dafür mußte er ihre Klagen und ihr Schelten anhören, alle hätten sie vergessen, sie säße hier bei Fremden, sie würde hier in diesem Loch zugrunde gehen und ihre Söhne nie, nie Wiedersehen. Sie wetterte auch gegen die Litauer wegen ihrer schwarzen Undankbarkeit. Wenn Konstantin und Theodor und das ganze polnische Heer sich nicht mit den Bolschewisten schlagen würden, dann würden sie sehen, was von ihrem Litauen übrigbliebe. Und das war der Lohn, den Thomas’ Vater und sein Oheim davontrugen: Sie durften nicht einmal für wenige Tage in ihre Heimat kommen, als seien sie echte Verbrecher. Ihre Briefe kamen auf Umwegen über Lettland und mit bedeutender Verspätung, selbst das Schreiben war zwischen Polen und Litauern verboten worden. Und ganze Komödien wurden mit den Briefen angestellt. Thomas beobachtete die Vorwände, die Großmutter anwandte, um irgend jemand zu zwingen, den man mit den Pferden zur Post schickte, wenn sich lange keine Fahrgelegenheit ins Städtchen bot. Sie tat, als ob sie am Sterben wäre, damit jemand, selbst beim schlimmsten Dreck, zum Doktor Kohn fahren sollte. Und nachher, wenn sie die Briefumschläge beim Öffnen zerriß, zitterten ihre Finger, sie zwinkerte mit den Augen, auf den Wangen erschienen ziegelrote Flecken.

Sie wurde von Thomas nicht ernst genommen. Ihr Klagegemurmel ließ er an seinen Ohren Vorbeigehen, und zu gleicher Zeit fühlte er eine Art Zorn, weil sie nicht aufhörte, von diesem ihren Konstantin zu reden.



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