Das Streichelinstitut by Clemens Berger

Das Streichelinstitut by Clemens Berger

Autor:Clemens Berger [Berger, Clemens]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: German Fiction
ISBN: 9783835306196
Herausgeber: Wallstein
veröffentlicht: 2015-05-02T16:00:00+00:00


In den nächsten Wochen sahen wir einander beinahe täglich. Ich hatte mir eine Kamera gekauft, Észter füllte meinen Bildschirm aus, ich tauchte nach meiner letzten Klientin auf ihrem auf, da, in der Rue Ordener, unweit der Place de Clichy.

Ich zeigte Észter mein Institut, die Blaue Lagune des glücklichen Menschen, das Wartezimmer, hielt die Kamera aus dem Fenster, auf die Mondscheingasse, auf die steinernen Löwenköpfe an der gegenüberliegenden Fassade. Einmal richtete ich sie auch auf Herrn Nemeth, als er mit schnellen Schritten und leicht, wie er nur nach einem Besuch bei mir sein konnte, auf die Straße trat. Ich führte Észter durch meine kleine Wohnung, in mein Schlaf- und Arbeitszimmer, das auf einen ruhigen grünen Innenhof ging. Von den Zikaden, die da vom Frühling bis Anfang Herbst so laut zirpten, dass man mich, wenn ich mit dem Telefon am offenen Fenster stehe, bisweilen frage, ob ich in Italien sei, musste ich ihr erzählen. Ich führte sie in meine Küche, ins Wohnzimmer mit den vielen Büchern, zu der Couch und den Pflanzen, die Anna mir geschenkt hatte.

Anna war mit einem neuen Projekt beschäftigt, sie hatte viel zu lesen, Kolleginnen und Kollegen zu treffen, Seminare vorzubereiten, Texte zu schreiben. Sie sprach nicht viel davon. Bisweilen kam es mir vor, als habe sie mich fast schon vergessen. Zwar fragte sie, warum ich mich so zurückzöge, aber sie hakte nicht ein, wenn ich sagte, ich bräuchte Zeit für mich, um von Severin zu Sebastian zu kommen, mich gleichsam zu häuten, um die Häute zu vergessen und mich auf das zu konzentrieren, was mich wirklich beschäftige. Sie sagte nur, so kenne sie mich nicht. Dass sie mir aber Zeit lasse, wenn ich meinte, bestimmte Fragen nur mit mir selbst ausmachen zu müssen. Dass es eine Selbstanalyse aber nicht gebe. Und dass ich in Gottes Namen bei mir bleiben solle.

Es war diese gespenstische Gegenwart Észters, die mich beschäftigte. Sie war da, und sie war nicht da. Sie war manchmal mehr da als nicht da, bis mir schmerzlich bewusst wurde, dass sie mehr nicht da als da war. Wir teilten auf eine seltsame Weise unseren Alltag, abends, an manchen Wochenenden, wenn ich nicht mit Anna am Brunnenmarkt oder im Café Prückel saß oder aus der Stadt fuhr, um durch Wälder zu streifen. Manchmal sprach ich mit Amanita, wenn sie ihren Kopf in Észters Zimmer steckte und ihre Wohnungsgenossin wieder mit diesem Bild sprechen sah. Amanita und ich tauschten Belanglosigkeiten aus, Wörter, Lachen, Gesten, die sich auf Észter bezogen. „Sie gefällt dir“, sagte die dann, Amanita stemmte die Hände in die Hüften und sah Észter streng an. „Natürlich“, sagte ich, „thank you, darling“, sagte Amanita. Dass sie im betrunkenen Zustand einmal übereinander hergefallen seien, erzählte mir Észter, während sie ihren Kleiderschrank ausmistete, während sie mit einem Besen durchs Zimmer ging, während sie mir Musik vorspielte. Észter erzählte von den Prüfungen, für die sie lerne, von den Büchern, die sie lese, von ihren Beobachtungen im Alltag. Während wir miteinander sprachen, schickten wir Fotos und Lieder von einer Festplatte zur anderen.



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