Das Spiel der Nachtigall by Tanja Kinkel
Autor:Tanja Kinkel
Die sprache: de
Format: mobi, epub
ISBN: 9783426412077
Herausgeber: Knaur eBook
veröffentlicht: 2012-05-11T20:32:48+00:00
Zuerst dachte Judith, sie hätte sich bei ihrer Einschätzung der Lage wie des Pfalzgrafen völlig geirrt, und die Männer kämen ihretwegen. Dann fiel ihr brennend heiß ein, dass die wichtigste Festung des Kölner Erzbischofs, Andernach, vielleicht so schnell gefallen war, weil Gilles nach ihrer Flucht Heinz von Kalden die richtigen Hinweise gegeben und man im welfischen Lager davon erfahren hatte. Die Männer der Wache blickten tatsächlich ausschließlich zu Gilles, der sich schützend vor sie stellte, mit Hohn und Widerwillen in ihren Mienen.
»So etwas bringen nur die Welschen fertig«, sagte einer von ihnen. »Kerl, du hättest deine dreckigen Finger bei dir behalten sollen.«
Gilles war von seinem alten Freund ausgeliefert worden: Robert hatte einen falschen Mann angesprochen und unter der Folter einen einzigen Namen genannt, bevor er seinen Verletzungen erlag. Gilles wurde in eines der Lochgefängnisse geworfen. Jeder, zu dem Judith ging, um für ihren Gemahl zu bitten, erzählte ihr etwas anderes darüber, was mit Gilles passieren würde. Die einen gingen davon aus, er müsse öffentlich ausgepeitscht und dann aus der Stadt geworfen werden, die anderen dagegen bestanden darauf, ein solches Greuel verdiene den Tod durch Verbrennen. Als Judith in ihrer Not bei der Pfalzgräfin vorsprach, war diese erst gewillt, sie zu trösten, doch als sie Judiths Anliegen hörte, war sie entsetzt.
»Seid froh und dankbar, wenn Euch das Gesetz von so einem Sünder befreit!«, rief sie. »Ich werde beten, dass Gott Euch Einsicht in seine Gnade schenkt.«
Dem Pfalzgrafen dagegen wäre ein Trostversuch erst gar nicht in den Sinn gekommen. »Solche Kerle«, sagte er, »waren mir schon immer zuwider. Ausrotten sollte man sie, wo man sie findet, aber mein Onkel hat ja … hmm … Verständnis gezeigt. Nun, das ist vorbei. Wenn ich Ihr wäre, Magistra, dann würde ich schleunigst zu Philipp zurückkehren. Ich habe mir die Sache überlegt, wir können handelseinig werden. Also, was zögert Ihr noch? Wenn es an sicherem Geleit für die Reise liegt, ich werde Euch Kriegsknechte mitgeben.«
Mit Gilles durfte sie nur einmal sprechen. Er sagte, dass es ihm leidtäte, und machte den Eindruck eines Mannes, den der Alptraum, vor dem er ein Leben lang davongerannt war, eingeholt hatte: Seine Augen waren leer und hoffnungslos. Er bat sie, sich um ein Begräbnis für Robert zu kümmern und ihn dann in Braunschweig zurückzulassen.
»Ganz bestimmt nicht«, sagte Judith. »Wo du hingehst, da will auch ich hingehen. Ich nehme meine Schwüre ernst, und ich werde nie jemanden dem Tod überlassen, wenn ich dagegen kämpfen kann. Du hast mich immer durch alle Gefahren gebracht. Wofür hältst du mich, wenn du denkst, dass ich dir nicht ein Gleiches tue!«
Aber die Lage wurde immer schlimmer. Gilles hatte Freunde in Braunschweig gefunden, doch jeder von ihnen schien Angst zu haben, für ihn zu sprechen, könne ihn selbst verdächtig machen. Ihre eigenen Freunde und Patienten verstanden genauso wenig wie die Pfalzgräfin, warum sie nicht mit Abscheu erfüllt war und auf Gilles’ Tod hoffte.
Auch das Begräbnis des toten Robert innerhalb der Stadtmauern erwies sich als schwer, doch immerhin konnte sie beweisen, dass das Gesetz auf ihrer Seite stand: Robert war nicht hingerichtet worden, und er hatte sich auch nicht selbst umgebracht.
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