Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition) by Joseph Caldwell

Das Schwein sieht Gespenster: Roman (German Edition) by Joseph Caldwell

Autor:Joseph Caldwell [Caldwell, Joseph]
Die sprache: deu
Format: mobi
Tags: Belletristik/Gegenwartsliteratur (ab 1945)
Herausgeber: Aufbau Verlag GmbH & Co. KG
veröffentlicht: 2012-04-11T22:00:00+00:00


Kapitel 8

Das aufmüpfige, schielende Schwein, das ursprünglich den Festtagsbraten hatte abgeben sollen und das Lolly und Aaron dann Kitty und Kieran zurückgebracht hatten, war seit seiner Rückkehr auf die Burg Kissane aus unerfindlichem Grund ein friedlicher Mitbürger geworden. Es zeigte sich sanftmütig und kooperativ, es fraß und fraß und fraß und hatte genügend Speck angesetzt, sodass der Tag des ihm vorbestimmten Schicksals näherrückte. Man würde es dem Metzger in Tralee überantworten. Kitty und Kieran ahnten, woher die Friedfertigkeit des Schweins rührte – es war die geisterhafte Gegenwart des verspeisten Schweins.

Ihren Beobachtungen zufolge konnte das lebendige Schwein das Phantom seines Artgenossen nicht sehen, sondern spürte nur seine Gegenwart, und das Phantom hatte in ihm eine Gemütsverfassung erwirkt, die an Frohsinn grenzte. In dem Versuch, dem Phänomen, das sich ihnen darbot, eine vernünftige Erklärung zu geben – was ohnehin schon ein Widerspruch in sich ist –, kamen sie zu der Schlussfolgerung, dass es sich um wahre Liebe handelte, eine Liebe, die stark genug war, dem Tod zu trotzen und Trost und Glückseligkeit in der imaginären Gegenwart des verstorbenen Geliebten zu finden. Hatte man nicht das ursprüngliche Schwein, jetzt der Schatten seines früheren Ichs, zu Lolly gegeben, weil sie eine engagierte Schweinezüchterin war? Und war es nicht wieder bei ihnen gelandet, weil es lesbische Neigungen hatte, die den Eber zur Raserei brachten, die Säue aber, sofern sie die auserwählten Opfer seiner Begierde waren, nicht sonderlich schreckten? Es war durchaus möglich, dass während der Zeit ihrer Wohngemeinschaft – der von dem ursprünglichen Schwein und dem, das eigentlich für den Festschmaus auserkoren war (dem jetzigen auf der Burg Kissane) – eine Beziehung im Schweinehimmel ihre Erfüllung gefunden hatte, als aber das Schicksal (man könnte auch sagen Kitty McCloud) eingegriffen hatte, wurde das überlebende Schwein wieder seiner Herde zugeführt, wo sexuell erregte Ferkel es in seinem Liebeskummer störten, von dem zu erlösen es lautstark den Himmel bat.

Bis zu einem gewissen Grad hatte sich der Himmel gnädig gezeigt, und das Tier landete erneut auf der Burg, wo es sich der unsichtbaren Gesellschaft seines geliebten Gefährten erfreute. Das brachte den Nebeneffekt mit sich, dass das Schwein zur Zufriedenheit aller fett wurde und die Geschichte nun mit der Trennung der beiden Liebenden enden sollte.

Lolly lenkte ihren Laster in den Hof. Das wohlgenährte Schwein lag nicht weitab von den Nebengebäuden, an denen sich Declan zu schaffen machte, behäbig in der Sonne. Lolly bremste scharf, kletterte aus der Fahrerkabine und betrachtete zufrieden das schlachtreife Tier. Sie war keineswegs der einzige Gast, was sie aber nicht wissen konnte. Brid und Taddy verfolgten aufmerksam Declan, der das Dach des vorletzten Schuppens deckte. Auch das Geisterschwein fehlte nicht und hielt getreulich Wacht über seinen schlummernden Artgenossen. Im guten Glauben, sie hätte Declan ganz für sich allein, ging Lolly schnurstracks auf ihn zu.

»Declan«, rief sie überschwänglich. Von der Verunsicherung bei ihrer letzten Begegnung mit ihm auf eben diesem Hof, nach der sie sich rasch in die Spülküche zurückgezogen hatte, um ihm nicht gegenüberstehen zu müssen, war nichts geblieben. Ihre Bewegungen waren zielgerichtet und entschlossen. Als wäre eine merkwürdige Verwandlung mit ihr vorgegangen, ein böser Zauber gewichen.



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