Das Schicksal der Templer – Episode 2 by André Martina

Autor:André, Martina [André, Martina]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Aufbau Digital
veröffentlicht: 2015-08-15T00:00:00+00:00

KAPITEL 9

HERBST 1315

Breidenburg

Sturmwarnung

Wenig später rannte Hannah ungeachtet ihrer Schwangerschaft mit gerafftem Surcot die Wendeltreppe hinauf. Schwer atmend machte sie vor der Kammer des Burgherrn halt. Einen Moment zögerte sie, bevor sie an seine Tür klopfte. Richard von Breydenbach war kein Mann, den man einfach in seinen Privatgemächern überfiel, ohne vorher von einem seiner Diener gerufen worden zu sein. Die meisten Burgbewohner hatten einen höllischen Respekt vor diesem Mann, der mehr als fünfzig Wachsoldaten befehligte und für knapp einhundert Bedienstete auf dieser Burg verantwortlich war, von den Bewohnern in den umliegenden Dörfern, die ihm als Leibeigene unterstanden, einmal ganz abgesehen. Nicht, dass Hannah ihm diesen Respekt verweigert hätte, aber Angst hatte sie nicht vor ihm, und das wusste er. Wahrscheinlich war sie ihm mit ihrer Herkunft und ihrem Wissen über die Zusammenhänge in dieser Welt ja sogar irgendwie unheimlich. Jedenfalls ließ er ihr gegenüber eine gewisse Zurückhaltung walten. Dass er auch eine andere, wesentlich düsterere Seite hatte, beobachtete sie im Umgang mit seinem Personal, und sie wusste es von Gero, den er vor Jahren regelrecht vom Hof gejagt hatte, weil er sich seinem Befehl, zu den Templern zu gehen, verweigert hatte. Selbst Geros nachträglicher Beitritt zum Orden hatte das Verhältnis der beiden Männer nicht bessern können. Erst das Haupt der Weisheit und das damit verbundene Geheimnis, mit dem Richard erstmals im Jahre 1291 in Akko in Berührung gekommen war, hatten Vater und Sohn miteinander versöhnt.

Für Hannah war und blieb Richard von Breydenbach unberechenbar. Wenn sie Gero Glauben schenkte, spielte ein brutales, unerbittliches Vorgehen in dieser Zeit eine wichtige Rolle, wenn man sich Respekt verschaffen wollte. Und Richard machte da keine Ausnahme. Deshalb war für Hannah nicht abzusehen, wie er auf ihr Anliegen reagieren würde.

Als die Tür sich unvermittelt öffnete, schrak sie mit einem erstickten Laut zurück. Bruder Ottmar, der leicht füllige Hauskaplan, trat ihr in einem froschgrünen knöchellangen Gewand entgegen und glotzte sie mit seinen leicht hervorstehenden Kalbsaugen abschätzig an. Er hielt nichts von Frauen, ganz gleich, ob es sich um Bedienstete handelte oder ob sie zur Familie gehörten, und er machte keinen Hehl daraus. Warum Jutta ihn widerspruchslos als Hauskaplan akzeptierte, war Hannah ein Rätsel, hatte aber wohl mehr mit ihrer Harmoniesucht zu tun als mit ihrem Glauben. So, wie es aussah, hatte er Richard just die heilige Kommunion gespendet, was sie an dem weißseidenen Schultertuch erkennen konnte. Ein Vorgang, der immer eine vorherige Beichte beinhaltete. Mit einem tumben Gesichtsausdruck blieb Ottmar in der Tür stehen und versperrte ihr damit den Weg in die Kammer.

»Lasst mich bitte vorbei, Bruder Ottmar. Ich muss meinen Schwiegervater sprechen«, erklärte sie knapp.

»Er braucht seine Ruhe«, knurrte der Geistliche ungehalten. »Euer Besuch wird ihm nicht bekommen.«

»Ich muss ihn aber sprechen«, erwiderte Hannah hartnäckig. »Es ist äußerst wichtig und duldet keinen Aufschub.«

»Soll reinkommen«, bestimmte der Burgherr in leicht rüdem Tonfall durch die halboffene Tür. Ein wenig umständlich richtete er sich in seinem Baldachinbett auf, das er schon länger für sich allein beanspruchte, und sah sie aus schmalen Lidern an. Als Hannah sich zögernd näherte, rückte er sich seine Schlafmütze zurecht, die ihm mühelos die sonst übliche Würde nahm.

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