Das Schattenreich by Jonathan Wylie

Das Schattenreich by Jonathan Wylie

Autor:Jonathan Wylie [Wylie, Jonathan]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-05-06T22:00:00+00:00


22. KAPITEL

Kurz darauf kam V'dal zurück. Er hatte das saubere Wasser in einem Beutel untergebracht, den er aus Seidenfischstoff improvisiert hatte. Obwohl Eile geboten war, hatte er sich die Zeit genommen, ihn sicher zu verschließen, und kein Tropfen war verlorengegangen. C'tis weckte den Fremden, der die Augen öffnete und leeren Blicks starrte. Er konnte sehen, aber hinter diesem Blick war kein Leben. C'tis bot ihm das Wasser an, doch er schien nicht zu wissen, was er damit machen sollte, daher ermunterte sie ihn, goss ihm die Flüssigkeit in den Mund und berührte seinen Hals. Er schluckte einmal krampfhaft, dann stürzte er den Rest hinunter. Die Heilerin war zufrieden, wenn auch nicht ganz.

»Er wird bald mehr brauchen«, erklärte sie.

»Ziehen wir also weiter«, antwortete D'vor. »Wir haben hier alles gesehen, was wir sehen müssen. Bis wir die Boote erreicht haben, können wir ihn abwechselnd tragen.«

Die anderen erhoben sich, froh darüber, dass die Verzögerung ein Ende hatte.

»Zieht ihm die Kleider aus, bevor wir aufbrechen«, wies J'vina sie an. »Sonst werden sie verfärbt.« Sie gab C'tis ihr Messer, eine dünne, rasiermesserscharfe Klinge, und die Heilerin schnitt dem Fremden vorsichtig die zerfetzten Überreste seiner Kleidung herunter. Er betrachtete sie teilnahmslos, und sein Gesichtsausdruck blieb unverändert.

»Kein besonderes Exemplar«, meinte J'vina, als sie den nackten Mann betrachtete.

»Kraft zeigt sich nicht notwendigerweise nur in den Muskeln«, wies V'dal sie zurecht. »Er hat Dinge überlebt, die jeden von uns getötet hätten.«

»Stimmt«, gab die Kriegerin mit nachdenklichem Ausdruck im Gesicht zurück.

»Welche Richtung sollen wir einschlagen?« wandte sich V'dal an D'vor.

»Erst einmal Wasser holen, dann nehmen wir den schnellsten Weg zu den Booten. Auf dem ersten Abschnitt übernimmst du die Führung. Ich trage ihn. L'tha, du übernimmst das Raellim.«

Der Weg war weit. In dieser unterirdischen Welt bestimmten nicht Licht oder Dunkel, sondern vielmehr Aktivität und Ruhe den Unterschied von Tag und Nacht. Dennoch entsprach das Zeitgefühl dem der Oberwelt. Es gab Orte, an denen das kristalline Licht direkt von der Erdoberfläche hereingelenkt wurde, und dieses Licht schien dann zur gleichen Zeit wie die unsichtbare Sonne.

Anfangs ging es durch eine Folge miteinander verbundener Höhlen und Tunnel. Das Grüppchen war voller Zuversicht und kam gut voran, trotz der nahen Dunkelheit und ihrer unvorhergesehenen Last. Sie stießen auf mehrere Hinweise, dass die Gegend früher bewohnt gewesen war, doch nur V'dal und L'tha, die für diese Dinge empfänglicher waren als ihre Gefährten, würdigten sie eines zweiten Blicks.

Der Fremde blieb bei Bewusstsein, während er unsanft abwechselnd von jedem auf den Schultern getragen wurde. Er sprach zwar nicht, und auch sein Blick blieb leer, doch er verdrehte den Kopf und versuchte, so viel wie möglich mitzubekommen. Diese offenkundige Neugier, verbunden mit dem völligen Fehlen jeglicher Gefühlsäußerungen oder sonstigen Reaktionen, bereitete C'tis eine Gänsehaut. Es war unnatürlich - fast so, als wollte er Informationen aufsaugen bis sein Gehirn schließlich zu einem späteren Zeitpunkt wieder funktionstüchtig war. Nichts während ihrer Laufbahn als Heilerin hatte sie auf ein derartiges Rätsel vorbereiten können, und sie fragte sich, ob das Innenleben ihres Patienten ebenso ruhig war wie sein äußeres Erscheinungsbild. Sein Körper



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