Das Salz der Erde by Daniel Wolf
Autor:Daniel Wolf [Wolf, Daniel]
Die sprache: deu
Format: mobi, epub
Herausgeber: E-Books der Verlagsgruppe Random House GmbH
veröffentlicht: 2013-06-09T22:00:00+00:00
SPEYER
Ehrlos!«, hatte Onkel Eberold gesagt. »Schwanger mit einem Bastard! Was habe ich Gaspard angetan, dass er mir solch eine Last aufbürdet? Wenn man es ihr wenigstens nicht ansehen würde. Aber ihr Bauch ist ja schon ganz dick! Und Haare hat sie wie ein Kerl. Es wird mich Monate kosten, einen Mann für sie zu finden. Monate! Als ob ich nichts Besseres zu tun hätte.«
Tatsächlich dauerte es keine drei Wochen.
Eberold war der Gemahl von Isabelles Tante Galienne, ein wuchtiger Mann mit tonnengleichem Brustkorb, dröhnender Stimme, kahlem Schädel und einem roten Bart, der links und rechts des Mundes herunterhing wie die Zinken einer Forke. Er war Kaufmann wie fast alle Männer ihrer Familie und handelte mit Köln und den anderen Rheinstädten, wodurch er über die Jahre zu beträchtlichem Wohlstand gekommen war. Galienne, die Kinder und er wohnten in einem prächtigen Anwesen im Zentrum Speyers, gegenüber dem Dom, und leisteten sich eine ganze Schar von Hausbedienten.
Obwohl seine Schimpftirade anderes hatte erwarten lassen, hatte er sich gleich nach Isabelles Ankunft auf die Suche nach einem Ehemann für sie gemacht. Natürlich hatte er nicht in Speyer gesucht – wenn sich herumgesprochen hätte, dass ein Mitglied seiner Familie eine verurteilte Ehebrecherin war, hätte das seinem Ruf als Kaufmann und Bürger geschadet. Stattdessen hörte er sich in den Dörfern am Rhein um, wo Bauern und Viehhirten wohnten, die keine großen Ansprüche an eine Frau stellten. Arbeiten und Kinder gebären sollte sie können, das war alles. Wenn das Weib außerdem eine großzügige Mitgift in die Ehe einbrachte, sah man gern darüber hinweg, dass sie keine Schönheit war oder, wie Isabelle, von dubioser Herkunft.
Während Eberold die Umgebung Speyers bereiste, blieb Isabelle in der Stadt. Ihr Los war nicht ganz so hart wie in Varennes – man sperrte sie nicht in einer Kammer ein, sondern erlaubte ihr, sich im gesamten Haus und dem Hof frei zu bewegen. Verlassen durfte sie das Anwesen jedoch nicht. Zu groß war die Angst ihres Onkels und ihrer Mutter, sie könnte davonlaufen oder mit Michel Kontakt aufnehmen. Außerdem durchsuchten Gaspards Knechte ständig ihre Schlafkammer und ihre Habe, sodass es ihr nicht gelang, einen Brief an Michel zu schreiben, geschweige denn, ihn aus dem Haus zu schmuggeln.
Gut zwei Wochen später kehrte Eberold zurück und präsentierte ihr ihren künftigen Gemahl. Es war ein freier Bauer, der einen großen Hof drei Wegstunden nördlich von Speyer besaß, in der Vogtei Altrip. Wie Eberold ihn dazu gebracht hatte, einer Heirat mit ihr zuzustimmen, behielt er für sich. Vermutlich war viel Geld geflossen. Oder Eberold hatte ihm Versprechungen gemacht. Versprechungen – darin war ihr Onkel gut.
Der Mann war hochgewachsen und breitschultrig; er besaß misstrauische Augen, einen sorgfältig gestutzten Bart und ebenso kurzes braunes Haar. Thomasîn war sein Name. Falls er Anstoß an ihrem kurzen Haar oder ihrem geschwollenen Bauch nahm, so zeigte er es nicht. Überhaupt sprach er nur wenig, nachdem er sich vorgestellt hatte. Mit der Familie wechselte er kaum ein Wort, mit Isabelle gar keines. Den ganzen Abend saß er schweigsam da, klammerte sich an seinem Weinbecher fest und kommentierte Eberolds großspurige Geschichten mit einem gelegentlichen Nicken.
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