Das Salz by Del Amo Jean-Baptiste
Autor:Del Amo, Jean-Baptiste [Del Amo, Jean-Baptiste]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 9783442747566
Google: 8YmIngEACAAJ
Herausgeber: btb Verlag
veröffentlicht: 2014-07-13T22:00:00+00:00
DRITTER TEIL
Morta
Die Sonne hatte eine Salpeterdecke über das Meer gelegt. Die Kinder wollten unbedingt über die Molemauer klettern und sich ein paar Stunden auf den Felsen darunter legen. Fanny hatte keine Lust gehabt, sie zum Strand von Aresquiers zu begleiten. Das Salz auf Leas Armen funkelt in dem strahlenden Licht wie eine zweite Haut. Selbst durch das Strandtuch hindurch spürt Lea den brennenden Stein unter ihren Schenkeln. Fanny liegt neben ihrer Tochter. Sie liegt auf der Seite, ihre Schulter glänzt, die Haut ist rot und braun. Lea mag ihren sahnigen Geruch, die Sommersprossen, die sich regelmäßig über ihren Arm und ihre Brust bis unter den Rand des Lycras ziehen. Als Fanny sich zum Meer dreht, um nach Martin zu sehen, kann Lea in dem kurzen Zwischenraum zwischen Badeanzug und Leiste die dichten Schamhaare ihrer Mutter sehen. Sie mag die Seltsamkeit dieses Körpers, den sie immer noch als ein Teil des ihren wahrnimmt. Lea richtet sich auf, ihr runder Bauch spannt den Badeanzug, lässt den Nabel hervortreten, als sie eine Hand auf die Hüfte und die andere an die Stirn legt. Sie schirmt die Augen ab und sucht mit dem Blick unter den halb nackten, halb vom Meer verschluckten Kindern nach ihrem Bruder. Alle gleichen sich mit dem Schaum auf ihren Körpern, der sie verschlingt und dann glänzend und verdutzt wieder dem Strand zurückgibt.
In der Ferne lässt das Théatre de la Mer seine disharmonischen Linien spiegeln, am Rand der Mole liegende Betonblöcke umfassen den zarten Sandstreifen, auf dem die Badenden dösen. Lea spürt etwas, das sie nicht in Worten fassen kann, das Gefühl einer vollkommenen Übereinstimmung, der Weite dieses Sommertages: unter sich das Meer, neben sich die träge Mutter, vor sich Martin, der am Rand des Wassers spielt, den Lärm der Brandung und in der dichten Luft das Stimmengeschwirr. Jetzt hat sie ihren Bruder entdeckt, umgeben von Gleichaltrigen, ein Ball schießt auf – die Weiße des Himmels lässt keinen Blick zu –, fällt zurück und prallt auf die Wasseroberfläche, zieht Schreie nach sich, die Kinder rennen los, behindert von schweren Wasserfontänen.
– Vergiss deine Schwimmflügel nicht, wenn du ins Wasser gehst, sagt Fanny.
Lea schüttelt den Kopf und entfernt sich unter dem wohlwollenden Blick ihrer Mutter, den sie auf sich fühlt wie die Sonne auf ihrem Nacken, ganz oben auf ihrem Kopf in den Haaren, auf dem Rücken, im Kreuz. Eine Zeitlang springt sie von einem Felsen zum nächsten, etwas abseits von den andern Kindern, hüpft im Rhythmus ihrer Spiele, schießt einen gellenden Schrei über den Strand, doch Martin bemerkt sie nicht, und so verliert sie ihr Interesse an den Jungen bald wieder.
Die Wellen schieben sich zwischen die Betonblöcke, brechen sich schäumend. Die purpurnen Panzer der Krabben verschwinden in den Rissen, wenn der Schatten von Leas Gesicht auf sie fällt. Sie drückt die Fingerspitze ins Herz einer Anemone, die sich schließt. Die Tentakel packen das kleine Fingerglied. Lea legt sich auf den Beton, den Kopf in eine Spalte gedrückt, und betrachtet diesen Mikrokosmos, den der Seegang unaufhörlich durcheinanderwirbelt. Sie mag das Salz der Gischt auf ihrer Haut, wenn es auf den Steinen knistert.
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