Das Nachtvolk by Bernhard Hennen

Das Nachtvolk by Bernhard Hennen

Autor:Bernhard Hennen [Hennen, Bernhard]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2012-08-14T04:00:00+00:00


11. KAPITEL

An das Gewicht der Rüstung hatte Golo sich immer noch nicht gewöhnt. Wie konnte man sich nur freiwillig in solche Mengen von Metall zwängen? Sein Kettenhemd saß schlecht. Es zwickte und zwackte überall. Und erst der Topfhelm! Sein ehemaliger Besitzer war vom Pferd gestürzt und so unglücklich gefallen, daß er zunächst kein Glied mehr zu rühren vermochte und drei Tage nach dem Unfall verstarb. Leider hatten es die Flöhe im Strohpolster des Helms ihrem ehemaligen Herren nicht gleichgetan. Sie hatten den Sturz offenbar unversehrt überstanden.

Der Blick des Knappen wanderte über die große Wiese vor der Stadtmauer. Durch die schmalen Sehschlitze des Topfhelms hatte er keinen sonderlich guten Überblick. Aber Lanzenbrecher würde schon wissen, wohin er sich halten mußte. Unsicher blickte der Knecht nach rechts und links. Wenn die edlen Herren an seiner Seite wüßten, wer er war, sie würden ihn zweifellos in Stücke reißen. Ein Unfreier, der sich erdreistete, eine Rüstung anzulegen und an einem Turnier teilzunehmen! Sein Schild und sein Waffenrock waren weiß und trugen kein Wappen. Ein Zeichen dafür, daß er zum ersten Mal in einem Turnier focht. Golo wäre es lieber, wenn ihn der Bischof niemals zu dieser Scharade gezwungen hätte. Doch Jehan bestand darauf, das betrügerische Spiel fortzusetzen, das sie in Martinopolis am Königshof begonnen hatten.

Lanzenbrecher schnaubte. Der große Hengst schien sich auf den bevorstehenden Kampf zu freuen. Fast hundert Ritter aus Aquitanien und den angrenzenden Königreichen hatten sich zum Pfingstturnier eingefunden. Sie waren in zwei Gruppen aufgeteilt worden, die nun an den gegenüberliegenden Enden einer großen Wiese Aufstellung genommen hatten. Alle warteten sie nur noch auf das Signal der Hornisten, die vor der Ehrentribüne des Bischofs standen. Die Ritterschar auf der feindlichen Seite bot einen eindrucksvollen Anblick. Die meisten hatten nach der neuen Mode aus Outremer ihren Rössern bunte Tücher in den Farben ihrer Wappenschilde und Waffenröcke übergeworfen. Einige hatte sogar ihre Lanzen bunt anmalen lassen und trugen auf ihren Helmen so seltsamen Schmuck wie Pferdeköpfe, Adlerflügel oder Greifen. Alle waren mit Kettenhemden gerüstet, die in der Sonne des Pfingstmorgens wie lauteres Silber glänzten. Golo grinste. Auch er hatte einen Diener des Bischofs gestern abend damit beauftragt, für ihn das Kettenhemd zu polieren. Ohne Zweifel hatte es auch seine Vorteile, sich wie ein Adliger aufführen zu dürfen. Wenn er nur nicht gezwungen wäre, an diesem Turnier teilzunehmen!

Der Ritter zu seiner Rechten trug ein rotes Tuch aus feinem Leinenstoff um seinen Oberarm gewickelt. Das Liebespfand einer Dame. Was ihn anging, so gab es keine hübsche Maid, die ihn mit Herzklopfen beobachtete, dachte der Knecht bitter. Nach den Drohungen des Bischofs hatte er sogar darauf verzichtet, mit den Küchenmägden anzubandeln. Seit Wochen lebte er wie ein Mönch! Dabei hatte Saintes durchaus hübsche Weibsbilder zu bieten.

Golo packte die Lanze fester. Wenn nur endlich das Signal zum Angriff käme! Diese elende Warterei machte ihn noch ganz verrückt. Sechs Wochen lang hatte ihn der Bischof und sein Rüstmeister im Schwertkampf und im Lanzenreiten ausgebildet. Doch was bedeutete das schon? Die meisten Ritter hier auf dem Feld waren gewiß von Kindesbeinen an in den Waffenkünsten unterwiesen worden.



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