Das Menschengeschlecht by Robert Antelme

Das Menschengeschlecht by Robert Antelme

Autor:Robert Antelme [Antelme, Robert]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Gegenwartsliteratur, Lager, Zeugenschaft
ISBN: 978-3-0358-0000-5
Herausgeber: diaphanes Zürich-Berlin
veröffentlicht: 2016-12-22T23:00:00+00:00


Später bin ich ins Erdgeschoss der Fabrik zurückgekehrt, um meine Kohlblätter zu holen. Ich habe mich in das Gewölbe des Lagerraums geschlichen, ich habe die Duralplatte hochgehoben: Der Kasten war leer.

Scheiße. Ich konnte mich nicht entschließen, das Gewölbe zu verlassen. Ich habe nebenan unter anderen Platten gesucht, nichts. Es war schlimm. Diebstahl wurde wirklich zu einem Spiel. Natürlich war es entweder der Italiener oder der Mörder, die meine Kohlblätter gestohlen hatten. Als ich aus dem Gewölbe herauskam, bin ich dem Italiener begegnet. Er war klein, gelb, mager; er hatte eine furchtbare Vitaminmangelkrankheit.

»Hast du die Kohlblätter genommen?«, habe ich ihn gefragt.

Er hat geschworen, dass er es nicht war, dann hat er sich empört; er habe einen Beruf, er sei kein Dieb. Er zeigte mir sein Foto – er hatte es behalten können – in Zivil: Er stand neben seiner Frau, die einen Säugling auf dem Arm trug. Ich war ein roher, ungehobelter Mensch.

Der Mörder trieb sich ebenfalls im Lagerraum herum. Der Italiener hat auf ihn gezeigt und behauptet, dass er es war. Ich bin zu ihm gegangen. Seine schwarzen Augen haben sich empört. Er hat mir ebenfalls geschworen, dass er es nicht war, und außerdem »waren ihm Kohlabfälle völlig wurscht«. Dann hat er auf den Italiener gezeigt und gesagt: »Der Makkaroni wars.« Einer von beiden war es. Sie haben mich nicht angebrüllt. Sie haben sich mir gegenüber auch nicht gewehrt, dass sie gestohlen hatten, sondern so, als sei ich gar nicht da, beschuldigten sie sich jetzt gegenseitig. Die beiden hatten vielleicht beabsichtigt, die Kohlblätter an sich zu nehmen, und dabei war einer dem anderen zuvorgekommen. Sie hatten vielleicht miteinander geteilt.

Ich habe sie stehen lassen und bin wieder zu dem Kasten gegangen. Es war wirklich dieser Kasten, den ich mit den violetten Kohlblättern drin genau dorthin gestellt hatte. Er war wirklich leer. Die Blätter waren gegessen worden oder würden gegessen werden, aber nicht von mir. Der Magen ist noch etwas leerer geworden, als ob bis zu diesem Augenblick allein schon die Vorstellung, dass ich am Abend die Blätter essen würde, ihn gefüllt habe. Noch ein Misserfolg. Die Kohlblätter waren mir in letzter Minute an der Nase vorbeigegangen, kurz bevor ich sie hätte essen können. Es war zwar kein Brot, aber man konnte es essen, und der Kasten voller Blätter füllte bei weitem schon den ganzen Abend. Wieder einmal würde ich zusehen müssen, wie die Kartoffelscheiben auf dem Ofen brieten; wieder einmal musste ich auf Dédé warten, der vielleicht ein paar Kartoffeln aus der Küche mitbringen würde, oder eben hungrig zu Bett gehen.



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