Das Mädchen mit den Orangenpapieren (German Edition) by Hanns Zischler

Das Mädchen mit den Orangenpapieren (German Edition) by Hanns Zischler

Autor:Hanns Zischler [Zischler, Hanns]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783462308587
Herausgeber: eBook by Kiepenheuer&Witsch
veröffentlicht: 2015-08-10T16:00:00+00:00


Erste Hilfe

Elsa zeigt Saskia ihren Schulweg, den Schleichweg. Sie erklärt ihr die Landschaft: die Ache, den Hochgern, den Geigelstein und den fernen Chiemsee.

»Den Weg kennt außer mir nur Pauli«, sagt sie, als sie die Wiese am Hang durchqueren und in den Schatten der großen Scheune treten.

»Und wo gehen die andern?«

»Auf der Straße unten, am Fluss. Dort ist es laut, die Autos stinken – und immer rennen sie.«

»Meine Ma bringt mich mit dem Auto aus Underwossen. Zurück fahre ich mit dem Bus.«

»Unter-wös-sen, sag mal ›wö‹!«

Saskia geht auf die großen Geißen zu und macht meckernd »Hö-hö-hö!«, sie krault ein Tier zwischen den Hörnern.

»Du traust dich aber was, die sind launisch, pass auf!«

Von Saskias Unbeschwertheit ermuntert, greift sie einem Geißbock zwischen die Hörner. Sie erschrickt, als er unwirsch den Kopf schüttelt, sie stolpert und stürzt. Ihr Knie blutet. Saskia ist bei ihr und hilft ihr auf die Beine. Sie sieht sich auf dem morastigen Weg um, der über den Bauernhof führt.

»Bist du gegen Tetanus?«

»Geimpft? Ja – bei uns wurden alle geimpft, das war Pflicht.«

»Bei uns?«

»Na, zu Hause, in Dresden. – Kennst du dich damit aus?«

»Meine Ma ist physician.« Sie geht mit Elsa zu einem Wasserhahn am Gemüsegarten und rollt ihren Kniestrumpf herunter. »Water, only water.« Sie verteilt das Rinnsal über Elsas Knie und verbindet die Wunde mit einem Taschentuch.

»Ach so, ein Arzt. – Meine Mutter war Zeichenlehrerin«, sagt sie, als Saskia das Wasser abstellt. »Sie ist vor einem Jahr gestorben. In Dresden.«

»Oh nein, how awful! Ich habe noch nie einen Menschen sterben gesehen.«

»Sie war daheim, als sie gestorben ist. Vorher lange in der Klinik. Meistens sind wir mit dem Bus hingefahren. Dieser Geruch auf dem Flur! Kampfer! Sie hat mich kaum mehr erkannt, sie hat mir aber zugewunken. Mein Vater wollte, dass ich aus dem Zimmer gehe, aber ich wollte bleiben und habe am Bett gesessen, und wir haben ihre Hand gehalten. Mein Vater hat ihre und meine Hand gehalten. Ich habe sehr geweint.«

»Elsa!« Saskia hat Tränen in den Augen.



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