Das Lied von Usgar by R. A. Salvatore
Autor:R. A. Salvatore
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Cross Cult
veröffentlicht: 2018-11-15T00:00:00+00:00
Seonagh stieß unwillkürlich ein erleichtertes Keuchen aus und wäre beinahe umgefallen, als die Diamanten in der Höhle flackernd zum Leben erwachten.
Ihre Konzentration ließ nach und beendete die rituelle Verbindung und den Weitsichtzauber. Ebenso wie bei den anderen beiden Frauen kehrten auch ihre körperlichen Sinne zu ihr zurück. Alle drei waren erschöpft, was nicht weiter verwunderlich war. Die von Quarzsplittern durchzogenen Kristalle wurden normalerweise nur für einen kurzen Blick benutzt, um etwas auszuspähen, das sich weit entfernt befand. Doch die drei Frauen hatten das Ritual über einen langen Zeitraum aufrechterhalten – beim Blick in den Himmel war Seonagh überrascht, dass der Mond bereits hoch über dem Berg stand.
Sie warf einen Blick auf ihre Begleiterinnen. Connebragh war jung und machte im Zirkel gute Fortschritte, deshalb hatte sie keinen Grund, sich von Aoleyn bedroht zu fühlen, und freute sich ganz offensichtlich über die Entwicklung in der Höhle.
Doch Sorcha wirkte einfach nur müde. Seonagh verstand das – es war durchaus möglich, dass Aoleyn schon in wenigen Jahren Sorchas Nachfolgerin werden würde, und Sorcha eine ähnliche Stellung wie Seonagh einnahmen würde, was aber nicht Aoleyns Schuld war. Irgendjemand würde in den Zirkel berufen werden, um Sorcha zu ersetzen. Aoleyn war einfach die Zukunft; Sorcha und Seonagh die Vergangenheit.
So war es schon immer, dachte Seonagh. Die älteren Mitglieder der Gemeinschaft neideten den jüngeren ihre Schönheit, ihre Stärke und ihr Talent. Das beschränkte sich nicht auf den Zirkel. Seonagh hielt das für eine universelle Wahrheit, die Männer wie Frauen betraf. Warum hätte ein älterer Krieger, dessen Muskeln schwach wurden, denn auch keinen Neid gegenüber dem jungen, aufsteigenden Helden empfinden sollen?
'Sie hat das Lied Usgars gehört', sagte Seonagh zu den anderen beiden Frauen. 'Ruht euch aus.'
'Du auch', antwortete Connebragh mit hörbarem Misstrauen in der Stimme. Normalerweise wechselten sich die Hexen in solchen Nächten ab; da das Mädchen erwacht und war und sich mit den Kristallen beschäftigte, sollten die drei nun ihre Pflichten an die nächsten Wächterinnen übergeben.
'Bald', antwortete Seonagh und lächelte, weil sie wusste, dass sie Connebraghs Verdacht damit bestätigte, was sie allerdings nicht kümmerte. 'Ich halte noch ein bisschen länger Wache.'
Connebragh zuckte mit den Schultern, nickte und erhob sich. Sorcha machte sich diese Mühe nicht, sondern sank einfach zu Boden und verlor das Bewusstsein.
'Du musst dich nicht verausgaben', erklärte Connebragh. 'Aoleyn hat ihre Macht gefunden und das Licht erschaffen. Sie braucht keine ständige Bewachung.'
Seonagh nickte. Sie wusste, dass auch sie sich ausruhen musste, wenigstens ein bisschen. Sie nahm den langen quarzdurchzogenen Kristall, griff jedoch nicht nach seiner Magie. Noch nicht. Sie hoffte, ab und zu einen kurzen Blick auf Aoleyn werfen zu können, nur zur Beruhigung. Sie rief sich mehrfach ins Gedächtnis, dass Aoleyn sie nicht brauchte.
Laute Stimmen an einem der Lagerfeuer erregten Seonaghs Aufmerksamkeit. Sie bemerkte, dass die Stammesführer und vor allem Tay Aillig sie anstarrten. Dann kam Tay Aillig zielsicher auf sie zu. Im Schein des Feuers konnte sie nur seine Silhouette erkennen, aber seine Schritte wirkten wütend – natürlich, denn sein gesamtes Verhalten fußte auf tief sitzender Wut und einer über alle Maßen verbitterten Weltsicht.
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