Das Labyrinth am Ende der Welt by Simoni Marcello
Autor:Simoni, Marcello
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783863588601
Herausgeber: Emons
veröffentlicht: 2015-09-18T16:00:00+00:00
VIERTER TEIL
TRÄNEN AUS KRISTALL
»Und die Verdammten in ihren Qualen sprachen: ›Erbarme dich unser, Erzengel Michael. Und auch du, Paulus, der du von Gott viel geliebt bist! Verwendet euch für uns beim Herrn.‹
Der Engel aber sprach zu ihnen: ›Weinet. Ich werde mit euch weinen, und auch Paulus wird weinen. Wir werden den barmherzigen Gott bitten, er möge sich gnädig zeigen und euch ein wenig Ruhe gönnen.‹«
Visio Sancti Pauli
26
Kurz vor Tagesanbruch erreichten sie Salerno.
Die Überfahrt hatte den ganzen Ostersonntag bis tief in die Nacht gedauert. Am längsten hatten sie für die Umsegelung der Halbinsel von Sorrent gebraucht, die mit ihren riesigen, wilden, von schäumender Brandung umtosten Klippen einen großartigen Anblick bot. Ignazio hatte die wiedererlangte Freiheit in vollen Zügen genossen und den Blick immer wieder zwischen der Küste und den weißen Seevögeln über ihm am Himmel schweifen lassen. Sein Aufenthalt im Kerker des Castello Marino war eine kurze, aber sehr zermürbende Erfahrung gewesen. Weniger wegen des Eingeschlossenseins an sich, mehr als alles andere hatte ihm die blinde Grausamkeit einer Verurteilung zu schaffen gemacht, die Ideen bestrafte und nicht die Taten selbst. Außerdem quälte ihn immer noch die Erinnerung an Ermelinas tragisches Ende.
Bald allerdings gab es anderes, um das er sich sorgen musste. Einige Zeit, nachdem sie Neapel hinter sich gelassen hatten, hatte Cola Pesce vom Heck ihres Bootes das Segel einer Galeere entdeckt, die den gleichen Kurs an der Küste entlang genommen hatte. Als sie die Halbinsel von Sorrent umschifften, hatte er sie für einen halben Tag aus den Augen verloren, doch vor der Amalfiküste konnte er sie erneut ausmachen. Obwohl dieses Schiff ziemlich groß war, segelte es mit beachtlicher Geschwindigkeit dahin.
»Eine Galeere der Tempelritter«, hatte der Fischer gesagt und auf das Banner mit dem roten Kreuz auf weißem Grund gedeutet.
Vom finsteren Unterton des Mannes aufgeschreckt, hatte Ignazio sich zu ihm umgewandt. »Gibt es Probleme?«
Cola Pesce hatte den Kopf geschüttelt. »Gestern habe ich das Schiff noch am vulpulum, der großen Mole von Neapel, vertäut gesehen. Es muss heute Nacht in See gestochen sein, genau wie wir.«
»Ja und?«
»Nun, das ist seltsam, Messere, da der Kaiser die Tempelritter nicht gerade schätzt. Er hat sie aus dem Königreich Sizilien verbannt, und es heißt, dass er ihre Güter beschlagnahmt und diese den Deutschherren geschenkt hat.«
Darauf hatte Ignazio nichts erwidert. Der Vorstoß der Schlüsselsoldaten und der angebliche Tod Friedrichs II. bedeuteten für den Templerorden bestimmt ausreichend Ermutigung, sich die eigenen Besitztümer zurückzuholen. Ignazio konnte sich jedoch der Befürchtung nicht erwehren, dass von diesem Schiff eine direkte Bedrohung für ihn selbst ausging. Je näher es ihrem kleinen Boot kam, desto größer wurde seine Angst, an Bord dieser mächtigen Galeere könnte sich der Mann befinden, der Jagd auf ihn machte. Ein Geistlicher, der mitten in der Nacht aus Neapel aufgebrochen war, nur um ihn zu verfolgen. Vielleicht war es ja auch Einbildung, sagte er sich, aber er konnte den Gedanken nicht abschütteln, dass sich unter diesen weiß gekleideten Ordensbrüdern auch die schwarze Gestalt Konrads von Marburg befand.
Sie gingen vor Salerno vor Anker und verbrachten den Rest der Nacht in
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