Das Klima-Buch by Thunberg Greta

Autor:Thunberg, Greta [Thunberg, Greta]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: S. Fischer
veröffentlicht: 2022-10-26T00:00:00+00:00

4.10

»Eine ganz neue Art zu denken«

Greta Thunberg

»Der American Way of Life ist nicht verhandelbar. Punkt.«

Das sagte US-Präsident George H. W. Bush 1992 vor dem UN-Erdgipfel in Rio de Janeiro. Rückblickend stellt sich heraus, dass er im Namen des gesamten globalen Nordens sprach. Und bis heute ist das unsere Position. Die Bewältigung der Krise ist nicht gerade Hexerei. Was wir tun müssen, ist, die Emission von Treibhausgasen einzustellen, was theoretisch ziemlich einfach ist oder zumindest früher einfach gewesen wäre – wenn wir das Problem nicht hätten außer Kontrolle geraten lassen. Die Klimakrise zu bewältigen und gleichzeitig das Wirtschaftswachstum zu maximieren, das ist das Schwierige. So schwierig, dass es nahezu unmöglich ist.

Seit Präsident George H. W. Bush diese Äußerung tat, sind unsere CO2-Emissionen um über 60 Prozent gestiegen und haben das, was damals eine »große Herausforderung« war, in eine existenzielle Notlage verwandelt. Wir haben beeindruckende Mittel kreativer Buchführung, Schlupflöcher, Outsourcing und Greenwashing-PR-Narrative entwickelt, die es so aussehen lassen, als würde tatsächlich etwas unternommen, obwohl dies in Wirklichkeit nicht der Fall ist. Dagegen war das anhaltende Wirtschaftswachstum enorm erfolgreich … zumindest für eine geringe Zahl von Menschen mit einem Kohlenstoff-Fußabdruck von der Größe ganzer Dörfer. Dennoch hat uns das Wirtschaftswachstum seit dem Erdgipfel in Rio 1992 zumindest einen großen Vorteil gebracht – es hat zweifelsfrei bewiesen, dass wir nie den Ehrgeiz hatten, das Klima zu retten, sondern dass es uns immer nur darum ging, unsere Lebensweise zu retten. Und das gilt immer noch.

Bis vor kurzem konnte man noch argumentieren, das Klima ließe sich retten, ohne unser Verhalten ändern zu müssen. Aber das ist nicht mehr möglich. Die wissenschaftlichen Belege sind kristallklar: Unsere Regierungen haben die Dinge so lange schleifen lassen, dass es zu spät ist, erhebliche Änderungen unseres Lebensstils und unserer Systeme vermeidbar zu machen. Es sind schlicht nicht mehr genügend Ressourcen vorhanden. Wenn wir eine Chance haben sollen, die weiteren irreparablen Schäden möglichst gering zu halten, müssen wir uns jetzt entscheiden. Entweder wir retten die Lebensbedingungen für alle zukünftigen Generationen oder wir lassen einige wenige Reiche ihr ständiges destruktives Streben nach unmittelbarer Profitmaximierung fortsetzen. Wenn wir uns für die erste Möglichkeit entscheiden und beschließen, als Zivilisation fortzubestehen, müssen wir anfangen, Prioritäten zu setzen. In den kommenden Jahren, Jahrzehnten und Jahrhunderten werden wir ohne Zweifel viele Transformationen brauchen, die sich auf unsere gesamte Gesellschaft erstrecken. Und da unsere Ressourcen begrenzt sind, müssen wir anfangen, die richtigen Prioritäten zu setzen.

Jenseits der einfachsten Grundlagen muss unsere erste Priorität sein, unsere verbliebenen Kohlenstoffbudgets gerecht und ganzheitlich in der Welt zu verteilen, um unsere enormen historischen Schulden zu begleichen. Das bedeutet, dass diejenigen, die für diese Krise am meisten Verantwortung tragen, ihre Emissionen sofort drastisch reduzieren müssen. Wir wissen, dass die Welt sehr kompliziert ist und in diese Gleichungen unzählige wichtige Parameter einfließen. Gerade deshalb müssen wir so schnell wie möglich anfangen. Das erfordert für unsere Gesellschaften, zumindest in den wohlhabenden Teilen der Welt, eine völlig neue Denkweise.

Wir Klimaaktivistinnen und -aktivisten werden immer wieder gefragt, was wir tun sollten, um das Klima zu retten. Aber vielleicht ist diese Frage an sich schon falsch.

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