Das Kamel by Herbert Achternbusch

Das Kamel by Herbert Achternbusch

Autor:Herbert Achternbusch [Achternbusch, Herbert]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Erzählung
ISBN: 3518020005
Herausgeber: Suhrkamp
veröffentlicht: 1977-12-31T23:00:00+00:00


Indio

Mittag eine Stunde Föhn, Rotwein riecht aus dem rötlich gefärbten Schnee, die Flaschenscherben liegen um den Stufenabsatz zum Feinkostgeschäft. Der Mann, der neben mir fährt, schaut herüber und sagt: Sie haben eine indianische Nase. Ich antworte: Ich stamm auch von Indianern ab — Nein, wirklich? — Ja. — Können Sie denn Spanisch? — Nein, das geschah schon bei meinen Urgroßeltern im 19. Jahrhundert — Nein sowas, ich sag das so und dann stimmt das wirklich. Er hat die Tür geöffnet und beugt sich nochmals rein, er blickt auf meinen fatal stellungslosen halboffenen Mund, Lippe Rand von Körperöffnungen. Ich weiß ja, wenn ich bei jemandem das Gebiß sehe, denk ich an einen Affen. Unter so lächerlichen Umständen wurde ich eingeliefert, aber tatsächlich als krank befunden, wenn auch nach 2 Monaten wieder entlassen: Ich war damals in einer Firma Botengänger. Ein Bett hatte ich im Kolpingheim, weil ich mir kein so teures Zimmer leisten konnte. Eines Morgens an meinem freien Tag lag ich noch im Bett, als die Putzfrau in den Saal kam. Es war kalt, und deshalb strampelte ich mit den Beinen und sang dazu. Die Putzfrau rannte hinaus und erklärte dem Heimleiter, daß sie in Anwesenheit eines Verrückten nicht arbeitet. Der Heimleiter kam herein und forderte mich auf, mit dem Spaß aufzuhören. Da kam er mir aber mit einem Befehlston, daß ich in Wut geriet und ihn vor die Tür setzte. Er rief die Funkstreife an, die mich in die Irrenanstalt von Haar brachte.

Z. B. einen zweiten Abschnitt mit dem Nachweis meiner indianischen Abstammung beginnen. Ich werde morgen nochmals meine Mutter fragen, ob ich wirklich bis zum dritten Lebensjahr einen Mongolenfleck auf dem Gesäß hatte, der bei Andi erst vor einigen Monaten verschwand. Er kann ihn von Gerda geerbt haben, deren Vorfahren vor Jahrhunderten aus Südostasien nach Sizilien verschleppt wurden. Im Gegensatz zu Gerdas Mongolenfalte haben Andi und ich die Indianerfalte, die nicht vom Deckfaltenrand des Oberlids ausgeht, sondern die vom Lidrand selbst gebildet wird. Und nennen mich nicht alle meine Verwandten einen Wilden? und ein Greuel ist es ihnen, mit mir verwandt zu sein. Nur weil ich wenige künstliche Bedürfnisse habe und mir daher viel freie Zeit bleibt. Nur weil ich kein Scheckbuch habe? und weil ich die arbeitssame Lebensweise der Zeitgenossen ablehne? und die Schulbildung, nach der sie sich selbst bewerten, mißachte? Was ist mir geblieben als die weiße Adlerfeder am Kopf? Ich bin noch immer auf die weiten Räume, die Wüsten eingestellt. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt mit dem Weben von Decken. Meine Schafe haben gelernt, sich mit dem bitteren, scharfkantigen Gras der wasserarmen Reservation zu begnügen. Nachdem ich erfolglos aus der Welt der Weißen zurückgekehrt bin, gehe ich öfters zu den Gletschern des Gebirges hinauf, um die Geister der guten Toten zu besuchen, und weine dort in den Schnee der brüllenden Höhe. Lebe ich wieder dahin, beziehe ich mein Sicherheits- und Identitätsgefühl aus dem Zustand eines Menschen, dem man etwas schuldig ist. Meine Freunde haben wohl oft das Gefühl, daß ich aus meinem bloßen Dasein ein Gewerbe mache.



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