Das Haus der Stimmen by Ursula Isbel-Dotzler

Das Haus der Stimmen by Ursula Isbel-Dotzler

Autor:Ursula Isbel-Dotzler
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: SAGA Egmont
veröffentlicht: 2018-09-22T00:00:00+00:00


12

Am Samstag brachte ich meine Mutter zur Fähre.

Sie sorgte sich bis zur letzten Minute. „Hoffentlich klappt das auch mit den Bus- und Bahnverbindungen!”, sagte sie immer wieder und umklammerte nervös den Riemen ihrer Reisetasche. „Ich weiß noch nicht mal, wo der Bus nach Sønderborg hält. Und du – meinst du wirklich, dass du mit allem zurechtkommen wirst? Und deine Ausbildung … Falls es jetzt doch mit dem Praktikum klappt, kannst du das ja nicht einfach in den Wind schreiben. Vielleicht steht deine Zukunft auf dem Spiel … “ Sie legte eine kurze Pause ein, um Luft zu holen. „Und wegen Jule … räume alle Kerzen weg, die du finden kannst. Sei nur nicht zu nachgiebig mit ihr. Nächste Woche müsstet ihr den Telefonanschluss bekommen. Ruf mich dann sofort an, versprichst du das? Ach, mir ist gar nicht wohl bei dem Gedanken, dass du hier allein zurückbleibst. Dir ist offenbar nicht klar, wie schwierig Jule ist. Wenn sie krank wird, musst du gleich den Arzt verständigen, die Nummer hast du ja … “

Endlich verschwand sie mit hektischen Flecken auf dem Gesicht im Innern der Fähre, erschien aber schon Minuten später wieder an Deck und rief mir von dort zu, sie würde mir ein paar wärmere Kleidungsstücke nachschicken. Der Rest ging im Stimmengewirr und dem Lärm der Autos, die über die eiserne Rampe holperten, unter.

Irgendwie tat sie mir Leid. Sie erschien mir hilfloser als ich sie je zuvor erlebt hatte. Die lange, einsame Fahrt zurück nach Hause war wie ein Symbol für diesen zweiten Abschnitt ihres Lebens ohne Mann und ohne Kinder. Sie musste sich jetzt allein zurechtfinden.

Ziemlich bedrückt steuerte ich den Wagen aus dem Hafen, der sonst so verträumt wirkte und nur während der Ankunfts- und Abfahrtszeiten der Fähren aus seiner schläfrigen Ruhe erwachte.

Beim Bäcker machte ich Halt und kaufte einen der wunderbaren Nusskuchen als Seelentröster für mich und als Mitbringsel für Tante Jule.

Als ich nach Runestengaard zurückkam, vergaß ich den Kuchen allerdings erst einmal, denn Tante Jule hatte einen ihrer „Zustände”, wie Mama das genannt hätte. Sie erkannte mich nicht, schien mich für eine Fremde zu halten und redete erst Dänisch, dann Englisch mit mir. Für den Augenblick schien sie sogar vergessen zu haben, dass Deutsch ihre Muttersprache war.

Ich kochte Melissentee und redete ihr gut zu, bis sie eine Tasse davon trank. Ihre Augen waren voller Angst, ihre Lippen zitterten. Während ich neben ihr saß, fragte ich mich, was ich tun sollte, wenn dieser Zustand anhielt, wenn sie plötzlich nicht mehr zu ihrem normalen Ich zurückfand und ihre Verwirrung sich nicht auflöste.

Ich war jetzt allein und auf mich gestellt, musste selbst entscheiden, was richtig oder falsch war. Mama hatte Recht gehabt – es war eine große Verantwortung.

Schließlich redete sie wieder Deutsch mit mir. „Sie sind im Haus”, sagte sie im Flüsterton. „Überall! Ich habe sie in den Winkeln kauern gesehen. Manchmal zeigen sie sich; meistens nicht. Vielleicht liegt es ja an ihren Tarnkappen. Sie wollen mich vertreiben, das versuchen sie mit jedem, der das Haus bewohnt. Und es ist immer



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