Das Geheimnis richtigen Zuhörens by Anja Niekerken
Autor:Anja Niekerken
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783658297084
Herausgeber: Springer Fachmedien Wiesbaden
4.3 Stress – Welche Auswirkungen hat Stress auf das Zuhören?
Wenn wir zwischen Tür und Angel zuhören und dabei unter Druck geraten, können wir nicht 100 % zuhören. Soweit so einfach. Stress ist grundsätzlich kein guter Partner, wenn es ums Zuhören geht. Das geht sogar so weit, dass Stress, der nichts mit der aktuellen Zuhörsituation zu tun hat, Einfluss auf uns hat. Und zwar keinen guten.
Um diesen Zusammenhang zu verstehen, schauen wir uns zunächst einmal an, was Stress überhaupt ist und wir er unsere Physiologie beeinflusst. Grundsätzlich ist Stress nichts Schlechtes, sondern ein Überlebensprogramm aus lange vergangenen Zeiten. Haben Fred und Wilma Feuerstein einem Säbelzahntiger gegenübergestanden, dann war es sinnvoll, entweder die Beine in die Hand zu nehmen und das Weite zu suchen, oder alle Kräfte zu mobilisieren und zu kämpfen. Die dritte Möglichkeit, die dieses Programm bietet ist, sich tot zu stellen. Wenn unser Hirn dieses Programm wählt und wir gerade einen Vortrag halten, kommt es zum klassischen Blackout. Denn das Stressprogramm verzichtet auf alle Hirn- und Körperfunktionen, die in einer akuten Gefahrenlage gerade nicht gebraucht werden. Anders formuliert: das Sprachzentrum wird abgeschaltet, denn sprechen müssen wir beim Kampf, auf der Flucht oder beim Totstellen im Grunde nicht. Jemanden tot zu quatschen ist kein ernsthaftes Überlebenskonzept. Übrigens, das Sprachzentrum brauchen wir nicht nur zum Sprechen, sondern auch zum Zuhören. Es braucht verhältnismäßig wenig Genie, um zu begreifen, warum sich Stress und Zuhören schlecht vertragen.
Organisch passiert Folgendes: die Nebennieren setzen jede Menge Adrenalin und Noradrenalin frei. Außerdem werden vom Gehirn und der Nebennierenrinde weitere Stresshormone aktiviert. Ein extrem wirksamer Stresscocktail fließt jetzt durch unsere Adern. Dadurch steigen Herzfrequenz und Blutdruck. Dadurch werden alle großen Muskelpartien in Armen und Beinen mit Energie für den Kampf oder die Flucht versorgt.7 Ein Programm, welches wir heute in unseren Breitengraden nur noch sehr selten brauchen. Trotzdem läuft es noch genauso ab, wie zu Fred und Wilmas Zeiten.
Hinzu kommt, dass der Hippocampus, der Teil unseres Gehirns, der hauptverantwortlich für die Speicherung von Zeit- und Ortsdaten ist, sich die Stresssituation besonders gut merkt.8 Das gewährleistet, dass wir in einer ähnlichen Situation noch schneller in Stress geraten, um unser Überleben zu sichern. Steinzeitlich betrachtet praktisch. Heute eher unpraktisch …
Natürlich machen wir uns heutzutage keine Sorgen mehr, um besagten Säbelzahntiger, sondern eher darüber, ob wir das Projekt einwandfrei über die Bühne bringen, ob der Kunde uns den benötigten Auftrag erteilt, oder, eher privater Natur, ob wir die nächste Rate fürs Haus bezahlen können. Unser Gehirn macht dabei keinen Unterschied, ob dieser Stress wirklich lebensbedrohlich ist oder nicht. Es bewertet, wie wichtig das Ganze gerade für uns ist und damit auch, was für eine Katastrophe es wäre, wenn es schief ginge. Und das ist natürlich individuell verschieden. Daher hat jeder Mensch unterschiedlich viel Stress in derselben Situation. Der eine kippt fast vom Stängel, während ein anderer fröhlich pfeifend durch die Gegend läuft. Alles eine Frage von Veranlagung und persönlicher Erfahrung.
Wenn wir nun permanent unter Druck stehen, werden wir irgendwann krank. Der eine früher, der andere später. Was aber vorher passiert
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