Das Findelhaus by Helga Glaesener
Autor:Helga Glaesener [Helga Glaesener]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 978-3-8437-0499-1
Herausgeber: List Taschenbuch
veröffentlicht: 2014-12-14T05:00:00+00:00
13. KAPITEL
Als Cecilia nach Prato zurückkehrte, war Rossi immer noch fort. Sie musste zwei weitere Tage auf ihn warten, fünfzig Stunden, für die sie ihm grollte, weil ihr die Sorgen auf den Magen schlugen.
»Das war ein Ritt!«, sagte er, als er zur Tür hereinkam, an einem Abend, der nach vielen heißen Tagen gewittrig war und an dem die Mücken Krieg anzettelten und Fliegenschwärme Kleckse auf Tante Coras Esstisch fabrizierten. »Ist Tante Liccia beschäftigt?« Er wartete die Antwort nicht ab, sondern nahm Cecilia das Kleid aus der Hand, an dem sie gerade den Saum ausbesserte, und zog sie auf die Straße hinaus.
Er war glücklich, das sah sie ihm an, und ihr Magenweh verschwand. Sie bahnten sich ihren Weg durch arbeitsmüde Scholaren, erschöpfte Hausfrauen und einige betrunkene Totengräber in Richtung Piazza Duomo. Kurz vor dem Dom schob er sie zu einem Gartentor, das Bestandteil einer übermannshohen, soliden Bruchsteinmauer war. Erstaunlicherweise ließ es sich ohne Schwierigkeiten öffnen. Als er es hinter ihnen wieder schloss, klemmte er die Klinke mit einem Ast fest.
Zum Garten gehörte eine rosa gestrichene Villa, deren Fensterläden sämtlich geschlossen waren. Über den Bänken lagen zerschlissene Laken, das Unkraut hatte die Gartenwege erobert. Offenbar waren die Bewohner seit längerem verreist.
»Es macht dir nichts aus?«, fragte Cecilia mit einem Blick auf die Fenster.
»Es gibt sehr viel, was mir etwas ausmacht, Signora Rossi. Einbrechen in fremde Gärten gehört unbedingt dazu. Aber was sollen wir tun?«
Der hintere Teil des Gartens war mit Obstbäumen bepflanzt, zwischen denen Gras und wilde Blumen wuchsen. Rossi zog Cecilia zu einer der Bänke dort und ließ sich neben ihr auf die Steinplatte fallen. Über ihren Köpfen hingen gelb-rote, reife Pfirsiche in flirrend grünem Blätterwerk. Darüber sahen sie die Wolken, die hier noch weiß waren. Zum Horizont hin verwandelten sie sich allerdings in schwarze Wölfe, die einander über den Himmel jagten. Aufatmend streifte er den Leinensack ab, den er über der Schulter trug.
»Schon bereut?« Er lächelte, aber sie spürte seine Unsicherheit. Stürmisch nahm sie ihn in die Arme und küsste ihn. Im nächsten Moment lagen sie im Gras. Er nestelte an ihren Bändern, und sie half ihm aus Jacke und Hemd und streichelte seinen nackten Rücken, und was sie dann taten, inmitten von Gras und bunten Blumenköpfen und kleinen piksenden Steinen, war weder peinlich noch schmerzlich, sondern einfach nur wundervoll. Ein paar wenige ungeladene Erinnerungen drängten in Cecilias Kopf, aber es war, als spürte Rossi, wann er innehalten und wann er besonders vorsichtig sein musste. Und schließlich ergriffen sämtliche bösen Bilder unter Rossis ungestümen Versuchen, sie an den seltsamsten Stellen ihres Körpers zu küssen, die Flucht. Sie lachten beide, als er den Knopf ihres Hemdes abriss, und Cecilia schimpfte nach guter Ehefrauenart, als sie die Rippen unter seiner Haut fühlte. Dann sagten sie eine Weile gar nichts mehr.
In Rossis Sack befand sich eine Decke, und als das Gewitter endlich losbrach, krochen sie darunter. Der Garten wurde nur von wenigen Tropfen heimgesucht, obwohl inzwischen auch hier der Himmel finster war. Sie froren nicht einmal. Die Blitze zuckten in einer anderen Welt. Kalt wurde es Cecilia erst, als Rossi zu erzählen begann.
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