Das Camp: Thriller (German Edition) by Nick Cutter

Autor:Nick Cutter
Die sprache: deu
Format: azw3, epub, mobi
Herausgeber: Heyne Verlag
veröffentlicht: 2014-09-07T22:00:00+00:00

25

Bevor sie in den Wald aufbrachen, betrat Newton die Hütte. Er brauchte sein Feldbuch und das Seil. Sein Herz schlug wie eine Trommel. Dicke Schweißperlen liefen über seine Brauen, ehe er überhaupt durch den zertrümmerten Türrahmen getreten war.

Tu’s nicht, tönte die Stimme seiner Mutter durch seinen Kopf. Bitte. Das ist sehr, sehr gefährlich, Newt.

Newtons Mom hatte immer schützend ihre Hand über ihren einzigen Sohn gehalten. Elizabeth Thornton war zur Miss Prince Edward Island gekürt worden, einen Tag nachdem sie mit Newton schwanger gefallen war. »Schwanger gefallen« war ein gebräuchlicher Ausdruck auf der Insel: als ob die Frauen hier ständig von irgendwas – Stühlen, Leitern, Klippen – runterfielen und auf dem Weg nach unten geschwängert würden. Der Mann, der sie geschwängert hatte, war ein »Wettbewerbs-Stylist«: ein durchgeknallter Betrüger, der unerfahrene Teilnehmerinnen betreute. Gegen ein Honorar zeigte er ihnen, wie man seine Zähne mit Vaseline polierte, sodass sie perlweiß glänzten, oder wie man sich Paketband korrekt unter die Brüste klebte, um sie anzuheben. Männer wie er zogen von Wettbewerb zu Wettbewerb wie Möwen, die der Heckwelle eines Krabbenkutters folgten und die Abfälle aufpickten.

Dieser Stylist hatte Elizabeth einen Braten in die Röhre geschoben, in der Nacht vor dem Kartoffelfest in Charlottetown. Am nächsten Tag war er fort, genauso wie die Wanderarbeiter, die zur Kartoffelernte im Herbst wie die Heuschrecken über die Insel herfielen, um sich mit dem ersten Winterwind wieder ans Festland zurücktragen zu lassen. Newton fragte nie nach seinem Vater. Er und seine Mutter bildeten einen winzigen perfekten Kreis, und innerhalb seiner Grenzen fühlte er sich wohl. Für die Fähigkeiten, die man eigentlich von seinem Vater lernte, war Gruppenleiter Tim da, der, wie Newt fand, ein sehr viel besserer (Ersatz-)Vater war, als ein Wettbewerbs-Stylist es je hätte sein können.

Während der Geburt kam es zu Komplikationen, die eine starke Vernarbung der Gebärmutterwand zur Folge hatten. Newton würde Elizabeths einziges Kind bleiben.

Einige Leute hier haben eine Menge Kinder, sagte sie immer zu ihrem Sohn. Es scheint, als wollten sie es absolut richtig hinbekommen – das perfekte Kind. Tja, ich hab’s gleich beim ersten Mal geschafft! Ich schätze, Gott wollte mir damit auf dezente Weise zu verstehen geben, dass ich es nicht weiter probieren muss. Ich kann immer einen anderen Mann finden, aber niemals einen anderen Sohn.

Oh ja, und wie sie einen anderen Mann finden konnte. Alles, was sie tun musste, war, vor die Tür zu treten und zu pfeifen. Dann kamen sie aus allen Richtungen mit Blumen und herzförmigen Pralinenschachteln in ihren schwieligen Händen angesprungen. Elizabeth Thornton war ein echter Hingucker. Eine weitere gängige Redewendung – »Inselfrauen sind wie Weihnachtsbäume: Nach dem sechsundzwanzigsten will sie niemand mehr haben« – traf auf sie nicht zu. Ihr Gesicht hatte mit dem Alter einen unirdisch strahlenden Glanz angenommen, der ihre Schönheit nur noch stärker zur Geltung brachte. Sie konnte sich über einen Mangel an Verehrern nicht beklagen, obwohl sie einen Sohn im Teenageralter an der Backe hatte – noch dazu einen Spinner wie Newton.

Aber sie gab keiner der Avancen nach und lebte alleine mit ihrem Sohn in einem kleinen Haus am Stadtrand.

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