Das Buch der Katastrophen by Hermann Harry Schmitz
Autor:Hermann Harry Schmitz
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Erzählungen, Grotesken
veröffentlicht: 1915-12-31T16:00:00+00:00
Das Denkmal Noahs
Und es geschah, daß uralte Männer zusammensaßen und tagten. Sie tagten schon viele, viele, viele lange Jahre, und ihre Bärte waren durch den Tisch, sogar bereits durch den Fußboden in den Keller gewachsen.
Urgroßväter hatten bereits in ihrer Jugend in vergilbten Chroniken gelesen von diesen uralten Männern, wie sie von alters her tagten, wie Generationen kamen und gingen, Geschlechter ins Grab sanken und die uralten Männer blieben und tagten.
Und wenn das Volk von den uralten Männern sprach, so wurden die Stimmen leise von Ehrfurcht, und ein heiliges Schauern überlief die Gesichter.
Und niemand wußte, von wannen die uralten Männer kamen und was ihre Verrichtung und Bestimmung war, und darum nannte man sie das Komitee.
Vor dem Gebäude aber, in welchem die uralten Männer tagten, standen viele Reihen knorriger Bäume. Und an jedem Baum hing ein gebleichtes Skelett, und am Fuße fast jeden Baumes kauerten andere Skelette, große und kleine. Hier vier, dort sechs, an einem andern Baum gar zwölf. Je nachdem. Nur an einigen wenigen Bäumen kauerte nichts.
Und in den gekrampften Händen der aufgehangenen Skelette hatte man vergilbte, beschriebene Papierfetzen gefunden, die von klugen Schriftgelehrten als Pfändungsprotokolle wegen unbezahlter Gipsrechnungen erkannt wurden. Weise Deuter der Kranioskopie hatten die Schädel für die von Bildhauern und Architekten erklärt.
So hatten die Urgroßväter in ihren Chroniken gelesen und es staunenden Urenkeln an manchem Winterabend erzählt, wenn der Sturm um das Haus heulte und mit den Fensterläden und den Dachziegeln spielte.
»Selbstmörder, Selbstmörder, klapper, klapper! Ließen Weib und Kind und Eltern im Stich, mußten verhungern, mußten verhungern, klapper, klapper!« sang es, wenn der Wind die Knochen aneinanderschlug. Und das Volk floh voller Entsetzen diesen gräßlichen Ort.
Die uralten Männer aber tagten unentwegt, unentwegt.
Und über der Zeiten Lauf war der Sekt trocken und wieder süß und wieder trocken geworden vor Langeweile.
Neben dem Raum aber, wo die uralten Männer tagten, war ein großer, weiter Saal, wohl etwa fünfhundert Meter im Geviert. Darinnen standen gar seltsame Dinge. Einen überaus eigenartigen Anblick bot dieser Saal.
Aha, ah so, Fachausstellung des Konditorei- und Zuckerbäckergewerbes! würde der oberflächliche Laie sofort gesagt haben. Und nicht mit Unrecht, denn die Gebilde, die hier in Reihen aufgestellt waren, mochten wohl auf den ersten Blick wie große bizarre Torten aus weißem Zuckerguß, wie sie die Festtafel des reichen Mannes zieren, erscheinen.
Aber, o Laie, o Tor! Mit nichten war dieses eine Fachausstellung dieser Art, sondern eine Ausstellung von Denkmalsentwürfen in Gips, Gips, Gips, Duliöh. Es hieß ein Denkmal errichten: das war der uralten Männer Zweck und Sinn.
Aber die Erkenntnis über Zweck und Sinn ihres Sitzens hatte der Strom der Zeiten verwischt.
»Warum sitzen wir uralten Männer hier? Ich weiß nimmermehr, warum ich hier sitze und meinen Bart durch den Tisch wachsen lasse. Ich weiß es nicht!« So hub einer der uralten Männer, nachdem während der letzten hundert Jahre alle brütend geschwiegen hatten, zu klagen an, und eine Träne rann ihm aus dem linken Augenwinkel auf den Gehrockaufschlag.
»Ja, warum sitzen wir hier unentwegt, unentwegt, wir uralten Männer?« jammerte ein anderer.
»Wir beraten, wir beschließen, wir entscheiden,« klang es dumpf und schwer vom Kopfende des Tisches.
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