Das Blutbuchenfest by Martin Mosebach
Autor:Martin Mosebach [Mosebach, Martin]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Roman
ISBN: 978-3-446-24538-9
Herausgeber: Carl Hanser Verlag
veröffentlicht: 2014-02-06T05:00:00+00:00
Zwanzigstes Kapitel
Die Billetts verkaufen sich wie geschnitten Brot
Rotzoff hatte eine Tätigkeit gefunden, die ihn ganz ausfüllte, das Verkaufen der Eintrittskarten für das große Fest. Er hatte Ehrgeiz auf ihren Entwurf gewandt, die Aufschrift prangte in Buchdruck, die Typen waren tastbar, das Ganze in einem Löschpapier-Hellblau und mit einer altmodischen Nummer, die von Hand etwas schief aufgestempelt war. Der Drucker war erst einmal vertröstet worden, außerdem stellte Rotzoff ihm drei Eintrittskarten in Aussicht, da mußte ein solcher Mann sich doch glücklich schätzen. Aber nun ging es ans Verkaufen, und da zeigte sich die Amoralität, die wirkliche Verkommenheit der meisten Leute. Man glaubte, sich das noch einmal überlegen zu dürfen – »Vorsicht, die Karten gehen weg wie geschnitten Brot, wer keine Karte hat, bleibt draußen« –, aber diese Warnung schreckte offenbar nicht jeden. Am niederträchtigsten hatte sich ein jüngerer Rechtsanwalt betragen, der ihm ohne weiteres sechs Karten abnahm, er gedachte seine Anwaltspartner zu beschenken und deren Kebsweiber, und dann mit dem Geld nicht herausrückte: Rotzoff schulde ihm noch zweitausend Mark, er erlaube sich, den Betrag zu verrechnen. Diese Zweitausend hatte Rotzoff vollständig vergessen, der Kerl hatte auch nie gemahnt, damit den sittlichen Anspruch auf das Geld im Grunde aufgegeben, merkte außerdem solche Beträge gar nicht, bezahlte solche Summen aus der sprichwörtlichen Westentasche, natürlich trug der Mann tatsächlich Westen, tat korrekt und gebärdete sich nur nachts so haltlos und genußsüchtig, wie man es dem Heuchler mit seiner Aufrechnungsselbstgerechtigkeit bei Tageslicht nicht ansah. Immerhin hatte sich trotz solcher Aderlässe, das war nicht der einzige, schon ein nettes Päckchen Geldscheine gebildet – die »Matratze« nennen Gebrauchtwagenhändler solch ein an der Brust mild erwärmtes Schein-Paket –, und das, obwohl Rotzoff auch seine Miete schon von diesem Stapel bezahlt hatte. Die Versuchung war zu groß, dem widerwärtigen Hauswirt, der nur auf Rotzoffs Zahlungsunfähigkeit lauerte, in kalter Verachtung das Geld ganz gleichgültig hinzuzählen; wie ein solcher Mann dann prompt freundlicher wurde, Anstalten zu einem kleinen Gespräch machte und seine fleddernde Habgier vergessen sein ließ, das war eine bittere Lektion. Zum Menschenfreund werden ließ so etwas nicht. Sechsundvierzig Karten waren vergeben, jetzt wurde es zäh. Die Verkaufsarbeit blieb aufwendig, sie war oft mit ausführlichem Palaver verbunden, bei dem meist allzulange in der Schwebe blieb, wer die in seinem Verlauf getrunkenen Weine bezahlen würde. Und der Anwalt, der die Karten mit den Außenständen bei Rotzoff verrechnete, war eben nicht allein geblieben.
Zunächst war Rotzoff empört über solch ein Betragen – natürlich nicht dem Käufer ins Gesicht hinein, da grummelte er nur, gewiß, so könne man das durchaus machen. Aber nachdem ihm ähnliches dreimal zugestoßen war, änderte er seine Haltung in dieser Frage. Die schönen Karten sah er jetzt als Assignaten an, als Gutschriften zur Geldschöpfung und als kleine Voucher zum Zweck der Umschuldung, wie er es sich selbst erklärte. War es nicht sinnvoll, weit verstreute Schulden in einer einzigen Hand zusammenzuführen, so daß zum Schluß mit nur einem einzigen Gläubiger verhandelt werden mußte? Es ging jetzt zunächst darum, dem Festgedanken Faktizität zu verschaffen, ihm Wahrscheinlichkeitsschwere zu verleihen und ihn zu etwas
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