Das Beben by Martin Mosebach

Das Beben by Martin Mosebach

Autor:Martin Mosebach [Mosebach, Martin]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783423135689
Herausgeber: Carl Hanser Verlag
veröffentlicht: 2005-08-30T22:00:00+00:00


5.

An der Grenze von Innen und Außen

»Von meiner Jugend an wurde ich darauf vorbereitet, eines Tages König zu sein, und da mein Vater lange lebte, dauerten auch meine Vorbereitungen lange und haben mich tief geprägt. Ich bin deshalb zu der Einsicht gelangt, daß ich einen besonders glücklichen Fall des Königseins darstelle, im Gegensatz zu einem zu jungen König, der den klassischen Fall des Unglücks für Volk und Staat darstellt.« Es war mir schon aufgefallen, daß der König alle in seinem Leben eingetretenen Umstände als besonders glücklich ansah, er, der erste König nach der Abdankung aller indischen Könige und dem Aufgehen ihrer Reiche in einer übergroßen Republik, war zugleich der beste aller Könige, das gelungenste Exemplar einer sich im Dunkel der Vorzeit verlierenden langen Reihe. Seit er sich erinnern konnte, stand er jeden Morgen genau achtundvierzig Minuten vor Sonnenaufgang auf, betete, bürstete sich die Zähne und sah sich, wie es in den uralten Gesetzen des Königtums vorgeschrieben war, lange im Spiegel an. Dort studierte er die Züge des Mannes, der zum Königtum berufen war und der zwar, zum Glück, wie er nie aufhörte zu betonen, nicht auf einem Thron geboren, also kein Porphyrogenitus, aber ein auf den Stufen des Throns Geborener war. Es kam bei der täglichen Betrachtung im Spiegel darauf an, die dort geschaute Erscheinung in ihrer morgendlichen Blässe mit dem Begriff des Königtums zu identifizieren, die abstrakte Größe des Königseins mit einem konkreten Gesicht zu verbinden. Niemand würde glauben, daß er der König sei, wenn nicht er selbst es als allererster glaubte. Und er selbst glaubte es als allererster. Er konnte sich an keinen Augenblick nach seiner Krönung erinnern, in dem er es nicht geglaubt hatte – doch, einen einzigen Augenblick hatte es gegeben, aber der hatte sich dadurch ausgezeichnet, daß er in ihm nicht etwa geglaubt hatte, kein König zu sein, sondern daß er überhaupt nicht gewußt hatte, wer er war. Er erzählte die Geschichte seines Autounfalls mit Vergnügen. Was ihm zustieß, war niemals zufällig, und immer bewährte er sich erwartungsgemäß.

Es war ein kalter Tag gewesen, an dem er abends noch den Palast verlassen hatte. Der König war der Gluthitze in dem in seinem Reiche herrschenden Sommer derart vollkommen angepaßt, daß das Sinken des Thermometers ihn schnell frieren ließ. Ich durfte ihn bei zwölf Grad Außentemperatur mit einer Pudelmütze und einer großen umgelegten Wolldecke im Speisesaal des Palastes erleben, er fror ausdrucksvoll und rüstete sich für die Kälte wie für einen Katastrophenfall. Ein Vetter hatte ihn zum Abendessen eingeladen. Vor neun Uhr abends mußte er nicht eintreffen. Um Mißverständnisse auszuschließen, bemerkte er in Parenthese, daß er natürlich eintreffen konnte, wann er wolle, man habe schließlich ihn zu erwarten und tue das selbstverständlich auch, aber an diesem Abend sei er hungrig gewesen, eine Vorstellung, die ihn mit Behagen erfüllte, der König war hungrig, das war ein bedeutsames Detail, und so sei er denn rechtzeitig aufgebrochen, in seinem Jeep, der vollständig ungefedert war, und in Begleitung nur eines Mannes, des Fahrers – »Kenne ich den?« fragte ich, und er antwortete mit vergnügtem Lächeln, nun, den könne ich nun nicht mehr kennen.



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