Das Auge des Zoltars by Jasper Fforde

Das Auge des Zoltars by Jasper Fforde

Autor:Jasper Fforde [Jasper Fforde]
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Bastei Entertainment
veröffentlicht: 2017-01-25T08:52:59+00:00


Eine Begegnung mit dem Tod

Ich blickte in die Richtung, in die Ralph und Wilson starrten, sah aber nichts. Das Leere Viertel wurde dem »leeren Teil« seines Namens überraschend gerecht.

»Ich kann nichts erkennen«, flüsterte ich.

»Moribundus carnivorum«, erklärte Wilson leise, »aus Nord-West.«

»Mori… was?«, raunte ich zurück.

»Moribundus carnivorum. Ein Lebenssauger. Ernährt sich nicht von Energie und Proteinen, Fetten und Kohlenhydraten aus Lebensformen, sondern direkt von der Essenz des Lebens selbst.«

Ich sah wieder hin. In der Richtung, in die Wilson deutete, gab es nichts weiter außer einem Kaninchen, das etwa zehn Meter von uns entfernt am Gras mümmelte und uns unerschütterlich ignorierte.

»Meinen Sie das Kaninchen?«

»Das Kaninchen? Nein, natürlich nicht. Ich meine das hinter dem Kaninchen.«

»Ich sehe nichts hinter dem Kaninchen. Bis auf …«

Meine Stimme erstarb, als ich den Lebenssauger sah. Eigentlich sah ich ihn gar nicht, sondern nur die Auswirkungen, die er auf das Gras hatte, als er sich langsam an das Kaninchen heranschlich. Während um uns herum das Gras schön grün und saftig war, gab es dort eine Spur von braunen, dahingewelkten Grashalmen, die sich langsam in Richtung Kaninchen ausbreitete wie ein Soßenfleck auf einem Tischtuch. Der braune Fleck des Todes war nicht breiter als fünfzehn Zentimeter, und als das Kaninchen mit dem Mümmeln aufhörte und sich misstrauisch umsah, stoppte auch die sich ausdehnende Fläche absterbenden Grases und wartete.

»Ich sehe ihn jetzt«, flüsterte ich. »Er belauert das Kaninchen.«

»Normalerweise sucht er sich eine größere Beute«, raunte Wilson zurück. »Er muss hungrig sein – er wird sich einen von uns schnappen, sobald er unsere Witterung aufnimmt.«

»Wir können doch vor ihm davonlaufen, oder nicht?«

»Dem Tod davonlaufen?«, fragte Wilson mit skeptisch hochgezogener Augenbraue. »Ich glaube kaum.«

Ich wandte meine Aufmerksamkeit wieder auf die näher kommende Spur von verwelktem Gras hinter dem Kaninchen. Als der Lebenssauger etwa dreißig Zentimeter von dem ahnungslosen Tier entfernt war, schlug er zu. Das Kaninchen bekam zunächst gar nicht mit, was vor sich ging. Es wirkte geschockt und wollte losrennen, doch dann schwankte es, bäumte sich kurz auf, fiel auf die Seite und zuckte mehrmals, bevor es still dalag.

»Sch-uuk«, sagte Ralph, der genau wie wir gebannt auf das nun tote Kaninchen starrte. Der Lebenssauger raubte nicht einfach das Leben, er schien sich außerdem Vieles zu nehmen, was zum Leben dazugehört: Wärme, Frische und Schönheit. In weniger als einer Minute war das Kaninchen gealtert und verweste, bis es nicht mehr als ein fleckiges Fell war, das sich über trockene Knochen spannte.

»So etwas habe ich noch nie gesehen!«

»Psst«, warnte Wilson. »Er ist am stärksten, wenn er gerade gefressen hat. Er wird nach weiterer Beute jagen – ich habe einmal beobachtet, wie ein Lebenssauger eine ganze Schafherde ausgelöscht hat, ehe er vollgefressen zusammenbrach. Wenn Sie alles Schöne und Lebensbejahende ganz hinten in Ihren Kopf verbannen und ihn nur mit schrecklich banalen Gedanken füllen können, dann wäre jetzt der richtige Zeitpunkt dafür.«

»Wie soll ich das schaffen?«

»Ich beginne normalerweise mit Frühstücksfernsehen, dann mache ich weiter mit Biografien bekannter Persönlichkeiten bis hin zu internationalen Handelsvereinbarungen über Straßenbeläge.«

Trotz Wilsons Ratschlägen war es schwierig, auf Befehl an etwas Langweiliges zu denken, besonders wenn direkt neben einem der Tod lauerte.



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