Darwyne by Colin Niel

Darwyne by Colin Niel

Autor:Colin Niel [Niel, Colin]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Krimi
ISBN: 9783518778999
Herausgeber: Suhrkamp
veröffentlicht: 2024-06-16T22:00:00+00:00


16

Als Mathurine Darwyne wiedersieht, sitzt er in dem kleinen Warteraum neben seiner Mutter auf einer Bank, direkt unter einem Poster. Das Eltern sensibilisieren soll: Papa, Mama, Worte haben Gewicht. Yolanda steht auf, als Mathurine hereinkommt, sagt Guten Tag, die Fingernägel sind auf die Farbe ihrer alten pelzbesetzten Pantoletten abgestimmt. Stets vermittelt sie den Eindruck einer soliden und verantwortungsbewussten Mutter, die mit beiden Beinen fest im Leben steht.

»Ich denke, es dauert eine knappe Stunde.«

»In Ordnung.«

»Wollen Sie hier warten?«

»Nein, Madame. Ich will auf den Markt, geht das?«

»Ja, sicher. Ist praktisch um die Ecke, nutzen Sie das aus. Ich passe solange gut auf ihn auf.«

Verschwörerisches Lächeln Richtung Darwyne, der reagiert nicht.

»In Ordnung.«

Sie nimmt die Einkaufstasche, rückt die Handtasche gerade. Mathurine zögert, sagt:

»Ihr Sohn ist erstaunlich, wissen Sie. Er weiß eine Menge.«

»Hm«, macht die Mutter. »Ich weiß.«

Aber es sieht nicht so aus, als würde das Kompliment sie irgendwie berühren. Sie wirft Darwyne einen Blick zu, wie um ihm zu sagen, er solle sich benehmen, dann geht sie hinaus. Und lässt die beiden allein zurück, Darwyne sitzt, Mathurine steht.

»Wollen wir dann? Kommst du mit?«

Darwyne nickt, erhebt sich von der Bank und folgt ihr ins Büro.

Sobald er ihr gegenüber auf dem Besucherstuhl sitzt, wandert sein Blick umher. Der leere Stuhl der Kollegin, die Computer, die Plakate an der Wand. Und Mathurines Souvenirs von Waldexkursionen. Die Gewandtheit von vor ein paar Tagen, mit der er sich als Kenner im Dschungel bewegte, scheint bereits weit weg. Er ist wieder schüchtern und mürrisch, krummer Rücken, ineinander verschränkte Hände. Unbehaglich in den kalten, strengen Räumen. Mathurine denkt an die erste Evaluation von vor zwei Jahren durch Éliane Brunel, die Sozialarbeiterin, die sie sich spröde und steif vorstellt. Errät:

»Du warst schon mal hier?«

Er nickt mit geschlossenem Mund.

»Daran hast du keine guten Erinnerungen, nicht?«

Er nickt. Sie lächelt.

»Das wird schon gutgehen, keine Angst. Du musst mir bloß ein paar Fragen beantworten, okay? Damit ich sicher sein kann, dass bei dir alles in Ordnung ist.«

Leichtes Stirnrunzeln, unauffällig verzieht sich sein Gesicht. Spontan platzt er heraus:

»Madame, stecken Sie mich in eine andere Familie?«

Genau wie die Mutter bei ihrem ersten Gespräch, erinnert sich Mathurine.

»Nein, Darwyne. Warum fragst du mich das? Möchtest du das etwa?«

Heftiges Kopfschütteln.

»Willst du bei deiner Mutter und deinem Stiefvater bleiben?«

»Ja«, sagt er.

Ein Ja, das keinerlei Diskussion verträgt. Mathurine errät:

»Du hast deine Mama lieb, hm. Sehr lieb sogar, stimmt’s?«

Und da nickt das Kind, die Lippen eifrig zusammengepresst, die Augen weit aufgerissen, mit einem Schlag von dieser Liebe erfüllt, die Mathurine angesprochen hat. Sie hat schon viele Kinder gesehen, Dutzende, Hunderte, aber selten hat sie eine kindliche Anhänglichkeit in diesem Ausmaß erlebt. Als hätte sie sein ganzes Gesicht eingenommen, oder sogar darüber hinaus, unmöglich zu fassen. Und das findet Mathurine unendlich rührend.

Eilig beruhigt sie ihn:

»Dann gibt es keinen Grund, euch beide zu trennen, okay?«

»Okay.«

Und er scheint sich ein bisschen zu entspannen. Mathurine nimmt den Samen eines Stinkbaumes in die Hand.

»Hast du gesehen, ich hab ganz viele Sachen aus dem Wald.«

»Ja.«

»Gefällt es dir?«

»Ja.«

Winziges Lächeln auf den Lippen.

»Gut.«

Und damit steigt Mathurine in das eigentliche Gespräch ein, wie sie es auch bei jedem anderen Kind tun würde.



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