Damals, das Meer by Meg Rosoff

Damals, das Meer by Meg Rosoff

Autor:Meg Rosoff [Rosoff , Meg]
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783104002521
Herausgeber: FISCHER E-Books
veröffentlicht: 2014-01-20T16:00:00+00:00


17

Ich erwachte im Morgengrauen von einem Geräusch und hörte Finn Wasser aufsetzen. Er redete nicht besonders gern, schon gar nicht zu dieser Stunde, und ging auf keine Unterhaltung ein, die ich in Gang bringen wollte. Er wurde nur langsam warm, genau wie die Hütte, und ich hatte den Eindruck, er war schon so lange an seine Einsamkeit gewöhnt, dass er jeden Morgen von neuem staunte, wenn er mich schlafend an der Stelle, wo seine Oma früher gelegen hatte, vorfand.

Mir ging durch den Sinn, dass ich schon einige Jahre länger auf Internaten gewesen war, als Finn allein gelebt hatte, und vielleicht war mein soziales Verhalten aus diesem Grund auch ein bisschen komisch. Immer, wenn ich zu Hause war, beobachtete ich beim Frühstück meine fröhlich plaudernde Mutter, als wäre ich ein Anthropologe, der das typische soziale Verhalten der Rasse Mensch studiert.

Ich fand es schrecklich, in der Kälte aufzustehen, und vergrub mich beim Schlafen bis zu den Augen unter Decken, die ich nur dann zurückschlug, wenn ich meine Hände um eine warme Teetasse legen konnte. Finn hatte meinen Tee von sich aus mit Zucker gesüßt, und ich wandte mein Gesicht ab, um mein vor Freude rot angelaufenes Gesicht zu verbergen. Ich wusste, wenn ich im Bett wartete, bis er Feuer gemacht und seine morgendlichen Aufgaben erledigt hatte, würde sich die Hütte langsam mit einer stickigen Wärme füllen, und so blieb ich ruhig liegen, genoss die vertrauten Geräusche und schob den Wiedereintritt ins klare Bewusstsein so lange wie möglich vor mir her.

Nichts in meinem bisherigen Leben ließ sich mit jenen ersten Minuten am Tag vergleichen, wenn ich halb aufrecht im Bett saß, noch immer in Wärme gehüllt und ohne jeden Zwang, mich zu rühren, wenn ich einfach aus dem Fenster blickte und die ersten blassen Streifen den Himmel erhellten. Ich beobachtete die Schiffe, die langsam am Fenster vorbeituckerten: Fischkutter, die von einer langen Nachtschicht zurückkehrten, Segelboote aus der nahe gelegenen Flussmündung, die sich die günstige Strömung zunutze machten, kleine Schlepper auf der Rückfahrt zum Hafen. In der Nacht blinkten die Lichter von Passagierdampfern am Horizont wie Sterne, aber tagsüber waren sie unsichtbar.

»Wir nehmen die Jolle«, sagte Finn über die Schulter und ging zur Tür hinaus. Durchs Fenster beobachtete ich, wie er sich entfernte, sah, wie seine Silhouette weich wurde und verschwamm, als er im Morgendunst verschwand. Die Welt war noch nicht klar umrissen. Selbst die Meeresgeräusche wirkten gedämpft, als würde man sie aus weiter Ferne hören. Von meinem Platz aus war das Wasser fast nicht zu sehen, es verlor sich in einem grauen Mantel aus Nebel. Ich wusste, dass dieses Zwielicht nicht lange andauern würde und dass das Tageslicht den Nebel in einer knappen halben Stunde weggebrannt und den Dingen ihre Form zurückgegeben hätte.

Als ich mich schließlich anzog und zu ihm ging, stellte er gerade die Bootsausrüstung für unsere Expedition zusammen: einen Holzmast mit Segel, den er von den Dünen heruntergeholt hatte, ein langes aufgerolltes Seil, eine Büchse für Köder, einen Anker. Die Sonne brannte, und ich wusste, in meinem dicken Wollpullover würde mir bald unangenehm warm werden.



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